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Goldene Zeiten. 2006 wurde Italien in Berlin Weltmeister. Von einer Wiederholung des Titelgewinns in Südafrika sind allerdings nicht einmal die Tifosi restlos überzeugt.

© dpa

WM-Gruppe F: Italien hofft auf ein Wunder

Der Gruppen-Check, Teil 6: Fast 50 Jahre ist es her, dass ein Weltmeister seinen Titel verteidigen konnte. Italien könnte dieses Kunststück gelingen, schwer wird es aber schon - auch wenn die Vorrunde keine Hürde darstellen sollte.

Italien: Angeschlagen, aber gefährlich

Selbst vier Jahre danach hat kaum ein Deutscher wirklich realisiert, was da an diesem 4. Juli 2006 in Dortmund passiert ist. Völlig humorlos beendeten Fabio Grosso und Alessandro del Piero am späten Abend im Halbfinale ein Märchen ohne Happy End und schickten den Gastgeber der letzten WM in den verfrühten Sommerurlaub. Im Endspiel folgte die Dekonstruktion des besten Fußballers der letzten 20 Jahre durch den wohl härtesten Verteidiger desselben Zeitraums, Marco Materazzi provozierte das vorzeitige Karriereende von Zinedine Zidane noch vor dem Elfmeterschießen.

Trotz der öffentlichen Polemik danach - die "Squadra Azzurra" kann natürlich wesentlich mehr als Provokationen, Schauspielerei und Catenaccio. Nach der wenig erfolgreich verlaufenen Europameisterschaft - im Viertelfinale war nach einer Niederlage gegen Spanien Schluss - haben die Italiener in der Qualifikation bewiesen, dass wieder mit ihnen zu rechnen ist. Nie überragend, aber letztlich doch souverän setzten sich das nach der EM wieder von Trainer Marcello Lippi übernommene Team unter anderem gegen Irland und Bulgarien durch.

Der Coach hört auch nach dieser WM auf und wird durch Cesare Prandelli ersetzt. Doch mit der ersten Titelverteidigung seit Brasilien 1962 könnte sich Lippi ein Denkmal setzen.

Dass die Mannschaft ein anderes Gesicht haben würde als noch vor vier oder sogar zwei Jahren, war klar. An der Grenze zur Überalterung stand das Team eigentlich schon 2006, überspielte das mit der einhergehenden Routine und Cleverness. Entsprechend viel musste "Allenatore" Lippi testen. 36 Spieler wurden in den zehn Qualifikationsspielen eingesetzt, eine endgültige Elf hat sich dabei aber noch nicht durchgesetzt. Dafür steht die Achse: Gianluigi Buffon im Tor, Fabio Cannavaro als Abwehrchef und ein Mittelfeld um die routinierten Gianluca Zambrotta, Andrea Pirlo und Mauro Camoranesi scheint gesetzt. Zwei Weltmeister fehlen allerdings: Fabio Grosso und Alessandro del Piero, Deutschland kann aufatmen.

Im Sturm hat sich Lippi das Leben selbst ein wenig schwer gemacht: In Luca Toni, Francesco Totti und auch "Enfant terrible" Antonio Cassano verzichtete der Coach auf drei gestandene Angreifer wie auf jeglichen Spieler des Triple-Siegers Inter Mailand. Die Hoffnungen ruhen auf dem 32-Jährigen Antonio Di Natale. Der Torschützenkönig der Serie A (29 Tore in 35 Spielen) spielte bei Udinese Calcio die Saison seines Lebens. Daneben wird wohl Alberto Gilardino stehen. Der Florentiner war mit vier Treffern bester Qualifikationsschütze und traf in der Serie A 15 Mal. Dahinter lauern die ebenfalls erfahrenen Vincenzo Iaquinta, Fabio Quagliarella und der junge Guiseppe Rossi.

Fazit: Die italienische Mannschaft ist nur schwer mit dem Team zu vergleichen, das 2006 den Titel holte. Zwar steht das Gerüst aus Routiniers, entscheidend wird aber sein, wie sich die WM-Frischlinge schlagen. In Sachen Taktik und Cleverness ist die "Squadra Azzurra" weiterhin eine Klasse für sich.

Prognose: Die Gruppenphase wird Italien überstehen. Danach aber wird es knifflig, ab dem Viertelfinale warten die großen Gegner. Hier zeigt sich, ob das Team von Marcello Lippi nicht nur taktisch, sondern auch spielerisch überzeugen kann. Schwer zu schlagen sind sie allemal.

Paraguay: Sturmstärke weckt Hoffnungen

Die großen Hoffnungen der Südamerikaner liegen 2010 vor allem auf Akteuren, die in Deutschland spielen oder gespielt haben. Die beiden Dortmunder Nelson Valdez und Lucas Barrios sowie der langjährige Münchner Roque Santa Cruz sollen in der Offensive wirbeln und mit ihren Treffern für ein Weiterkommen sorgen. Dazu kommt mit Oscar Cardozo von Benfica Lissabon ein weiterer erstklassiger Angreifer.

Die Chancen darauf stehen nicht schlecht. Die Qualifikation zur Endrunde in Südafrika erfolgte einmal mehr souverän, am Ende standen die "Guarani" als Dritter der Conmebol-Gruppe nur zwei Punkte hinter Brasilien. Vor allem der 2:0-Heimerfolg gegen Brasilien - eine von nur zwei Niederlagen des Rekord-Weltmeisters - sorgte für grenzenlose Euphorie. Endgültig für den paraguayanischen Ausnahmezustand sorgte dann aber wieder einmal Nelson Valdez. Der in Dortmund wenig geliebte Stürmer erzielte im vergangenen September den Siegtreffer gegen Argentinien und machte damit die Teilnahme in Südafrika endgültig klar.

Erneut Valdez also. Denn schon 2005 sorgte ein Tor des 25-Jährigen für die Teilnahme bei einer WM, damals traf der ehemalige Bremer gegen Venezuela und legte das Fundament für seinen Status als Volksheld. Neben ihm wird BVB-Kollege Lucas Barrios auflaufen. Der gebürtige Argentinier wurde erst vor wenigen Wochen eingebürgert und traf in seinen ersten drei Spielen direkt dreimal. Der Knipser, der 2009 mit 37 Treffern für Colo-Colo die meisten Tore in einem Kalenderjahr weltweit erzielte, steht einfach fast immer richtig und ist vor dem gegnerischen Keeper eiskalt.

Dritter auch in Deutschland bekannter Stürmer ist Roque Santa Cruz. Der inzwischen 28-Jährige konnte sich zwar in seinen insgesamt acht Jahren bei Bayern München gegen Star-Kollegen wie Giovane Elber, Roy Makaay oder Luca Toni nie durchsetzen, der Wechsel nach England 2007 sorgte aber für den Durchbruch: 19 Treffer in seiner ersten Saison für die Blackburn Rovers sorgten für Aufmerksamkeit auf der Insel. Dass in den beiden folgenden Spielzeiten - zuletzt bei Manchester City - nur noch zusammen sieben Tore folgten, lässt trotz einiger Verletzungen dann aber doch den Verdacht des "ewigen Talents" zu.

Verzichten muss die "Albirroja" auf Salvador Cabanas. Der Stürmer wurde im Januar in einer Bar in Mexiko angeschossen, die Kugel steckt noch immer in seinem Kopf. Trotz einer bislang positiv verlaufenen Reha, hat es nicht für die WM gereicht.

Traditionell sicher stand in der Vergangenheit die Abwehr des Teams von Trainer Gerardo Martino - nur 16 Gegentreffer in 18 Qualifikationsspielen sprechen auch jetzt wieder für sich. Gute Voraussetzungen für eine erfolgreiche WM-Teilnahme, die insgesamt achte und zugleich die vierte in Folge. Größter Erfolg waren das Erreichen des Achtelfinals 1986, 1998 und 2002, beim Turnier in Japan und Südkorea beendete ein Last-Minute-Treffer von Oliver Neuville alle Hoffnungen.

Fazit: Neben der immer schon starken Abwehr kann Paraguay inzwischen auch auf einen torgefährlichen Sturm setzen. Sollte das Mittelfeld genug Kreativität aufbringen können, um die Angreifer auch in Szene zu setzen, ist einiges möglich.

Prognose: Paraguay wird sich als Zweiter hinter den Italienern durchsetzen. Im Achtelfinale könnte dann als Gegner die Niederlande folgen - ein Gradmesser, ob nicht sogar noch mehr möglich ist.

Neuseeland: Der Außenseiter glaubt an seine Chance

Es ist nicht bekannt, ob der Fußball-Verband Neuseelands den Kollegen aus Australien schon einen dicken Präsentkorb hat zukommen lassen. Fakt ist: Ohne die Tatsache, dass der Deutschland-Gegner seit 2007 an der Asien-Qualifikation statt in Ozeanien teilnimmt, hätten die "Kiwis" wohl keine Chance auf die WM 2010 gehabt. So setzten sich die "All Whites" souverän, aber nicht überzeugend durch.

Zwar standen gegen Fidschi, Neukaledonien und Vanuatu am Ende fünf Siege aus sechs Spielen zu Buche, die 0:2-Niederlage gegen den 131. der Fifa-Weltrangliste, den Inselstaat Fidschi, war aber bereits peinlich genug. In der entscheidenden Relegation gegen Bahrain traf Rory Fallon zum 1:0-Sieg im Rückspiel (Hinspiel 0:0). Zweiter Matchwinner war Keeper Mark Paston, der einen Elfmeter von Sayed Mohamed Adnan entschärfte und damit für die zweite WM-Teilnahme nach 1982 sorgte.

Die erste Qualifikation vor 28 Jahren war damals allerdings nicht unbedingt von Erfolg gekrönt. Das Team um den heutigen Trainer Ricki Herbert und den blutjungen Wynton Rufer kam in drei Spielen zu keinem einzigen Punkt, kassierte zudem gegen Schottland, die damalige Sowjetunion und Brasilien 2:12 Tore. Für den späteren Bremer war die WM dann auch nicht aus sportlichen Gründen erinnerungswürdig: "Ich durfte Fotos mit Maradona, Maldini und sogar Pelé machen. Das Turnier war gerettet."

Etwas mehr als Schnappschüsse mit Superstars sollen es 2010 dann doch werden, der Außenseiter hat hohe Ziele. "Jeder wird alles geben, um in das Achtelfinale einzuziehen", betonte Angreifer Shane Smeltz. "Das ist auch unser großes Ziel, auch wenn uns viele nicht auf der Rechnung haben werden. Auf uns warten drei sehr schwierige Spiele, doch wir freuen uns schon darauf."

Smeltz ist einer der wenigen Stars der "All Whites", geboren im schwäbischen Göppingen und auf Torejagd für Gold Coast United. Unmittelbare deutsche Vorfahren hat der Stürmer allerdings nicht, bereits mit einem Jahr ging es mit den Eltern nach Neuseeland. Der 28-Jährige ist mittlerweile zweimaliger Torschützenkönig in Neuseelands A-League und zweimaliger Fußballer des Jahres Ozeanien.

Fazit: Neuseeland geht zwar hochmotiviert, aber auch völlig chancenlos in das große Abenteuer Weltmeisterschaft. Bereits ein Punktgewinn wäre wohl der größte Erfolg der Verbandsgeschichte. Das ist aber durchaus möglich, Nadelstiche setzen können die "Kiwis" allemal.

Prognose: Die "All Whites" landen auf dem vierten Platz in Gruppe F. Ein Punkt und bei viel Glück sogar ein Sieg sind aber drin.

Slowakei: Die große Premiere

Es war so ein Moment, wie das "Wunder von Bern" für Deutschland. Am 1. April 2009 siegte die Slowakei durch Treffer von Stanislav Sestak und Erik Jendrisek 2:1 beim großen Bruder Tschechien in Prag. Am Ende einer großartigen WM-Qualifikation stand die erste Teilnahme an einer Endrunde in der Geschichte der "Repre".

Nicht nur der Sieg und das 2:2 im Rückspiel gegen die scheinbar übermächtigen Tschechen waren Garant für den ersten Platz in der Gruppe. Bis auf die zwei Niederlagen gegen Slowenien holte die Mannschaft von Trainer Vladimir Weiss aus acht Spielen sieben Siege, darunter auch je zwei Erfolge gegen Polen und Nordirland. Zudem wurde der Bochumer Sestak mit sechs der insgesamt 22 Treffer bester Torschütze der Quali-Gruppe 3.

Der 28-Jährige stürmt bereits seit 2004 für die Slowaken und ist inzwischen Angreifer Nummer eins. Trotz des Abstiegs mit dem VfL Bochum in der vergangenen Saison und nur sechs Treffern ist der 27-Jährige in Topform, traf auch im letzten Testspiel gegen Costa Rica.

Verzichten müssen die Slowaken auf einen weiteren "deutschen" Leistungsträger: Miroslav Karhan, beim FSV Mainz unumstrittener Stammspieler, fehlt in Südafrika wegen einer Achillessehnenverletzung. "Leider gehört sowas zum Fußball dazu. Es fällt mir schwer, mehr zu sagen", war der Rekordnationalspieler (96 Spiele, 13 Tore) tief enttäuscht.

Doch auch ohne Karhan kann Coach Vladimir Weiss, dessen gleichnamiger Sohn ebenfalls im Kader steht, auf einen breiten Bundesliga-Block setzen: Sestak, Rechtsverteidiger Peter Pekarik (VfL Wolfsburg) sowie die Abwehrspieler Jan Durica (Hannover 96) und Radoslav Zabavnik (FSV Mainz 05) gelten als Stammspieler. In der zweiten Reihe steht zudem Stürmer Erik Jendrisek vom Zweitligameister 1. FC Kaiserslautern, dessen Dienste für die kommende Saison sich bereits der FC Schalke 04 gesichert hat.

Dazu kommt in Robert Vittek ein alter Bekannter. Der 28-Jährige, inzwischen auf Leihbasis bei MKE Ankaragücü am Ball, erzielte zwischen 2003 und 2008 in 109 Spielen 35 Treffer für den 1. FC Nürnberg und wurde 2007 Pokalsieger. Sein langjähriger Kollege Marek Mintal erklärte 2009 seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft.

Ein weiterer international erfahrener Spieler ist Marek Hamsik. Der 22-Jährige hat bereits 30 Länderspiele absolviert und spielt seit 2004 in der Serie A, inzwischen für den SSC Neapel. In den vergangenen beiden Saisons erzielte der offensive Mittelfeldspieler je zwölf Treffer, die WM könnte sein großer Durchbruch werden.

Die Abwehr hält Martin Skrtel vom FC Liverpool zusammen. Der eisenharte und kopfballstarke 25-Jährige zog sich beim Test gegen Costa Rica allerdings eine leichte Knöchelverletzung zu.

Fazit: Die Slowakei kommt wohl mit der besten Mannschaft ihrer Geschichte zur WM. Ob das auch für ein Weiterkommen reicht ist fraglich, die starke Qualifikation spricht allerdings für sich. Das Schlüsselspiel ist die zweite Partie gegen Paraguay, hier entscheidet sich, wer ins Achtelfinale kommt.

Prognose: Am Ende reicht es nicht ganz. Die "Repre" wird hinter Paraguay Dritter, gewinnt aber weiter an Erfahrung und wird in der Zukunft noch für Aufsehen sorgen.

(Quelle: Handelsblatt)

Patrick Kleinmann, Handelsblatt

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