zum Hauptinhalt
In Südafrika unterwegs: Tagesspiegel-Autorin Hadija Haruna.

© privat

Zwei Heimaten: Deutschland - Ghana: Das Spiel meiner Herzen

Tagesspiegel-Autorin Hadija Haruna hat eine deutsche Mutter und einen ghanaischen Vater. Hier schreibt sie über ihre zwei Heimaten, ihre Gefühle für die Brüder Boateng – und für wen sie heute im Stadion von Johannesburg jubelt.

Für mich geht es heute um alles, und zwar zweimal. Als Tochter einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich will, dass beide Teams ins Achtelfinale ziehen, und beide Boatengs.

Ich bin mit meinen Geschwistern im Geiste, Jerome und Kevin-Prince, verbunden. Mit dem Anpfiff werden wir uns in Johannesburg ganz nah sein. Ich als Fan auf dem Zuschauerrang, sie auf dem Feld. Einer für Deutschland, der andere für Ghana. Ich fühle sie beide, weil ich glaube, ihre Geschichten zu kennen. Die von Kevin-Prince, dem Rebellen, der seit jeher nach Anerkennung sucht, dabei Runden im Abseits dreht, am Ende der Böse ist und dessen Problem niemand versteht. Und Jerome, der Ruhige, den die Suche nach sich selbst nicht an den Rand gedrängt hat. Auch ich habe lange nach mir gesucht, bin heute ausgeglichen, weil ich meine Antworten in dieser Gesellschaft gefunden habe.

Ein binationales Kind wie ich hat bestenfalls irgendwann entschieden, sich nicht entscheiden zu müssen und beides zu sein. Sicher, ich bin mehr deutsch als ghanaisch, weil ich in Deutschland aufgewachsen bin, doch bin ich mit einem Plus an Werten und Erfahrungen ausgestattet, die mich anders haben reifen lassen. Nationalität hat in meinem Kopf keine Grenzen. Es ist ein offenes Konzept von Zugehörigkeit.

Meine Brüder Kevin-Prince und Jerome sind bei einer deutschen Mutter aufgewachsen und von einem ghanaischen Vater und einer Gesellschaft geprägt, die schwarze deutsche Kinder meist als Migrantenkinder versteht. Ein verwirrendes Signal. Bei Kevin-Prince’ Integration ist nichts schiefgelaufen, nur weil er sich dazu entschieden hat, für Ghana zu spielen. Zudem können seit 1977 binationale Kinder per Gesetz die Pässe ihrer beiden Elternteile besitzen. Kevin-Prince, Jerome und ich bleiben also stets deutsch und ghanaisch. Und es reicht auch aus, seine zweite Heimat nur aus Erzählungen zu kennen. Manchmal schafft genau das die Verbindung zu ihr, bis man sie später kennenlernt.

Wie schnell es national und emotional durcheinandergehen kann, beweist die Debatte um das Foul von Kevin-Prince an Michael Ballack, als sich die Gefühle des Fußballvolks, der Multikulti-Szene und der Integrationspolitiker überschlugen. Auch ich musste mir Anfeindungen über das Verhalten „dieses Ghanaers“ anhören, die mich zum Schäumen brachten.

Kevin-Prince hat sich unsportlich verhalten, doch ist er weiter Teil unserer Gesellschaft. Und ist es nicht so, dass im Fußball derbe Revanchefouls, so verwerflich sie sein mögen, seit Jahrzehnten dazugehören? „Man muss sich auch mal Respekt verschaffen“, jubeln Reporter, wenn Spieler einen Gegner weggrätschen. Ist das bei Boateng anders?

Erschreckend waren für mich die Facebook-Gruppen und Internetforen wie „Nehmt Boateng den deutschen Pass ab“ oder „Am 23.6. treten wir Kevin-Prince Boateng kaputt“. Ich bin froh, bei der Diskussion nach dem Spiel nicht zu Hause zu sein, sondern hier in Südafrika.

Es heißt, dass man bei einem Fußballspiel nur Spaß hat, wenn man zu einer Mannschaft hält. Ich halte zu Deutschland und Ghana. Wenn Deutschland den Sieg über Ghana nicht brauchen würde, um ins Achtelfinale einzuziehen, so würde ich mehr zu Ghana halten und umgekehrt. Jetzt aber brauchen sie beide den Sieg – und ich habe ein Problem.

Ich werde mit einem ghanaischen Trikot, einem Deutschland-Stirnband und mit beiden Flaggen ausgerüstet im Stadion sitzen. Ich werde für beide Mannschaften jubeln, wenn ein Tor fällt und für beide trauern, wenn sie eines kassieren. Dies ist meine Lebensrealität – generell ein Geschenk, wie ich finde.

Ich bin einer dieser Fußballfans, die sich gerne die Weltmeisterschaften anschauen und ansonsten mit Sport nicht viel am Hut haben. Das ist seit 1990 so, als mein Vater und ich vor dem Fernseher Lambada mit Roger Milla tanzten und mit Kamerun ins Viertelfinale einzogen. Seitdem schlummert in mir der Wunsch, dass einmal ein afrikanisches Land den WM-Titel holt. Ke nako: Ja, es war an der Zeit, dass eine WM in Afrika stattfindet – und wer wie ich gerade in Südafrika ist, spürt den Einfluss und die gesellschaftliche Bedeutung für den Kontinent. Schade, dass gerade ein afrikanisches Team nach dem anderen ausscheidet.

Für Deutschland steht dieses Mal eine ganz besondere Mannschaft auf dem Feld. Noch nie gehörten ihr so viele Kinder an, die so sind wie die Boateng-Brüder und ich. Nachdem über Jahrzehnte die Walters, Seelers, Beckenbauers, Völlers, Klinsmanns und Kahns das Bild des deutschen Fußballs prägten, ist nun eine neue Generation herangereift. Fußball für Deutschland spielen nun die Söhne von Aussiedlern und aus Einwandererfamilien, auch Kriegsflüchtlinge und Kinder aus Ehen mit einem deutschen Elternteil. Und Cacau fand einen solchen Gefallen an seiner Wahlheimat, dass er die deutsche Staatsbürgerschaft annahm.

Diese Mannschaft gefällt mir. Sie zeichnet das Bild von Deutschland heute – meine Heimat. Und ja, wer sagt, dass ein Sieg mit Leistung zu tun haben sollte, der hat Recht. Deshalb wird am Ende auch das beste Team gewinnen.

Hadija Haruna arbeitet in der Berlin-Redaktion des Tagesspiegel und ist derzeit unterwegs bei der WM in Südafrika.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false