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Die Ausrüstung macht den Unterschied. Im Gruppenverhalten sind sich Ultras und Polizisten ähnlich. Die Szene zeigt eine Ausschreitung beim Spiel Eintracht Frankfurt gegen 1860 München im April 2012. Foto: dpa

© picture alliance / dpa

Fußballfans und Gewalt: "Dann wird es Tote geben"

Im Frühjahr haben DFB und DFL die Gespräche mit Fanvertretern über Pyrotechnik abgebrochen. Wenn Liga und Verband die Fans weiter ignorieren, wird sich das rächen, meint der Kriminologe und Fanforscher Thomas Feltes.

Herr Feltes, Sie waren im wissenschaftlichen Beirat der Deutschen Fußball-Liga (DFL). Nach Ihrer Kritik am Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der DFL im Sommer wurden Sie ausgeschlossen. Warum?

Dazu möchte ich mich nicht äußern.

Sie haben den DFB mit einem Taubenzüchterverein verglichen.

Das tut mir im Nachhinein auch sehr leid. Für die Taubenzüchter. Ich meinte, dass die Gerichtsbarkeit des DFB nicht so professionell aufgestellt ist, wie es die gestiegenen Anforderungen der letzten Jahre in meinen Augen erfordern. Das kann bei kleineren Problemen funktionieren. Wenn es aber um Spiele wie in Düsseldorf geht, wo die Dinge vollkommen aus dem Ruder gelaufen sind, wo plötzlich Millionen Euro Kosten im Raume stehen, da muss eine vernünftige und vor allem unabhängige Tatsachenaufklärung gemacht werden. Dazu braucht es kompetente Sachverständige oder eine Ermittlungsbehörde. Immerhin ist der Ligaverband nun ja auch im Gespräch mit dem DFB mit Blick auf die Sportgerichtsbarkeit.

Was kritisieren Sie an DFB und DFL genau?

Die Kommunikation mit den Fanvertretern ist nicht auf Augenhöhe. Vor allem der DFB müsste über seinen Schatten springen, ohne Versprechungen zu machen, aber sagen: Wir haben uns nicht geschickt verhalten, wir wollen noch einmal mit Fanvertretern diskutieren.

In dieser Saison hat es noch keine großen Fan-Krawalle gegeben, auch nicht bei Hertha gegen Dresden am Mittwoch. Zurzeit ist es doch ruhig?

Das sehe ich nicht so. 30 Festnahmen im Vorfeld dieses Spiels sind nicht wenig. Dass es bisher ruhig war, ist nur eine Momentaufnahme. Wir sollten ein paar Spieltage abwarten.

Vor einem Jahr sagten Sie, die Debatte über steigende Gewalt von Fußballfans sei übertrieben.

Dieses Interview war vor dem Abbruch der Gespräche zwischen DFB, DFL und Fanvertretern über den Umgang mit Pyrotechnik im Januar 2012. Das war ein vehementer Einschnitt und hat zu einer Jetzt-erst-Recht-Mentalität bei vielen Ultra-Gruppierungen geführt, nach dem Motto: Jetzt zeigen wir, was wir können. Darauf reagiert die Polizei. Beide Seiten sind gewaltbereiter geworden.

DFL und DFB loben aber, dass mehr Familien ins Stadion kommen.

Auf Seiten der Fans sehe ich tatsächlich eine zunehmende Polarisierung. Zwischen den friedlichen Fans, die vermehrt Kinder mit ins Stadion bringen. Und den gewaltbereiten Fans, die das Spiel nicht mehr als Spiel sehen, sondern nur noch als Gelegenheit, um am Wochenende „Spaß“ zu haben – worunter einige Prügeleien und Auseinandersetzungen verstehen . Wir haben mittlerweile sogar rivalisierende Ultras innerhalb der Vereine. Bisher musste die Polizei nur die Gästefans zum Stadion bringen, jetzt muss sie auch noch Gruppierungen innerhalb der Gast-Ultras trennen.

Einige Polizeiexperten vergleichen die Einsatzhundertschaften und Ultras: Beide sind spätadoleszent, männlich dominiert, erlebnisorientiert. Können Sie das bestätigen?

Viele Polizeibeamte haben sich etwas anderes vorgestellt unter ihrem Job, als sie in den Polizeidienst gegangen sind. Dann werden sie je nach Bundesland unterschiedlich lange in den Einsatzhundertschaften verheizt. Das bringt Unmut und Frust mit sich. Hinzu kommt ein gewisser, von uns in Studien nachgewiesener „Jagdinstinkt“, wenn etwa Ultras Straftaten begangen haben. Die will man dann erwischen, auch unter Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken, um die staatliche, aber auch die persönliche Autorität wieder herzustellen.

Was heißt das für die Fanbeauftragten, die zwischen beiden vermitteln?
Sie sind die ärmsten Schweine, weil sie zwischen den Fronten aufgerieben werden. Jeder von mir Ende 2011 befragte Fanbeauftragte war schon mal Opfer von Gewalt geworden. Und in 70 bis 75 Prozent der Fälle war es Polizeigewalt. Sie fühlen sich überfordert. Sie vermissen die Unterstützung durch DFB, DFL und die eigenen Vereine. Viele haben psychische Probleme, und einige haben bereits das Handtuch geschmissen. Es müssten mehr Fanbeauftragte eingesetzt werden und wir brauchen Fanhäuser, ähnlich den früheren Jugendfreizeithäusern, weil das Stadion im Grunde zum Jugendzentrum geworden ist.

"Stadionverbote stärken nur die Ultraszene und machen sie aggressiver"

Der Kriminologe Thomas Feltes, 61, lehrt an der Ruhr-Uni Bochum. Bis September war der Gewaltexperte im Beirat der DFL.
Der Kriminologe Thomas Feltes, 61, lehrt an der Ruhr-Uni Bochum. Bis September war der Gewaltexperte im Beirat der DFL.

© privat

Viele Ultras befürchten, verdrängt zu werden. Sind Sie auch so pessimistisch?

Das Fatale ist, dass sie sich unter Zugzwang fühlen, und immer mehr Gewalt, immer mehr Pyrotechnik anwenden. Die Polizei und die Vereine können nicht anders, als das zu unterbinden. Am Ende kann es nur einen Gewinner geben. Gerade die extensive Pyrotechnik können die Vereine nicht weiter mit ansehen, denn irgendwann wird es Verletzte oder gar Tote geben.

Wie hat sich die Pyrotechnik verändert?

Wenn bei 80.000 Zuschauern Pyrotechnik abgebrannt wird und sich der Rauch unter dem Tribünendach sammelt, ist das etwas anderes als früher in den alten Stadien – mit Laufbahn und ohne Dach. Da konnte der Rauch abziehen. In unseren modernen, voll besetzten, eng gebauten Stadien geht das nicht. Die Qualität und Intensität der eingesetzten Pyrotechnik hat sich zudem verändert. Was da inzwischen eingeschleust wird aus Polen oder woher auch immer, hat eine andere Qualität. Die heutige Pyrotechnik ist deutlich gesundheitsschädlicher als noch in den Siebzigern oder Achtzigern.

Was halten Sie von einem legalen Abbrennen von Pyrotechnik unter Vereinsregie?

Das würde bedeuten, dass man bestimmte Bereiche freihält, vor dem Spiel oder in der Pause. Das ist dann Pseudopyrotechnik. Wie beim Madonna-Konzert in der Arena auf Schalke. Das ist aber nicht das, was die Ultras wollen.

Sehen Sie eine Zukunft für die Pyrotechnik?

Ich sehe im Moment keine Möglichkeit, in den deutschen Stadien Pyrotechnik anzuwenden – höchstens wie bei Konzerten kontrolliert durch den Veranstalter. Aber das spontane Zündeln, dass schon bei der Anreise am Bahnhof die ersten Böller fliegen, das geht so nicht weiter.

Sind auch die Stehplätze in deutschen Stadien bedroht?

Wenn es so weiter geht, sehe ich tatsächlich irgendwann das Verbot der Stehplätze und personalisierte Tickets wie bei ähnlichen Großveranstaltungen. Die Ultras denken in der konkreten Situation nicht so rational, dass sie abwägen und für Stehplätze auf Pyrotechnik verzichten würden. Es gibt wenige, die Pyrotechnik abbrennen, aber viele, die es dulden und gut finden. Und die, die es machen, denken nicht so weit. Zumal DFL-Präsident Reinhard Rauball ja gesagt hat, dass die Stehplätze unverzichtbar sind. Das ist alles sehr vertrackt.

Was können Stadionverbote bewirken?

Stadionverbote werden beim DFB als Allheilmittel angesehen, ähnlich wie die Geldstrafen gegenüber den Vereinen. Aber sie haben keine positive Wirkung. Im Gegenteil: Sie stärken nur die Ultraszene; die Stadionverbotler werden dort wie Helden gefeiert. Und je mehr ich sie stärke, umso mehr unterstütze ich indirekt ihre Aggressivität. Es wäre wichtig, mehr über diese Personengruppe zu wissen, gegen die Stadionverbote verhängt werden. Da wäre eine Analyse der Strafregistereinträge sinnvoll gewesen, wie ich es vorhatte. Es sollte ernsthaft überlegt werden, das Stadionverbot als strafrechtliche und nicht als zivilrechtliche Maßnahme anzuwenden. Das würde den Geruch der Beliebigkeit nehmen. Denn im Moment werden die meisten Stadionverbote aufgrund von rechtlich nicht einwandfrei nachgewiesenen Verdachtsmomenten verhängt.

Was erwartet uns in den nächsten Monaten in den Stadien?

Wenn DFB und DFL nicht alsbald auf die Fans zugehen, Geld in Fanarbeit und weitere Forschung stecken, dann wird uns ein heißer Winter bevorstehen.

Das Gespräch führte Jan Mohnhaupt.

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