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Fußballfilm: Thomas Broich: Aufwärts in Down Under

Es ist im Grunde die klassische Auswanderer-Geschichte: Thomas Broich war gescheitert, in Australien fand er sein Fußball-Glück. Ein Film zeigt seine Karriere.

Thomas Broich sitzt vor einem Kreuzberger Café und lässt sich die Sonne ins Gesicht scheinen. Berlin erlebt den Frühling wie jedes Jahr, als wäre es der erste, Broich hat gerade seinen zweiten hinter sich. Letzten Sommer, als Vertragsspieler beim 1. FC Nürnberg, war er ganz unten, aussortiert, frustriert. Vor 14 Tagen nun ist der 30-Jährige mit seinem neuen Klub Brisbane Roar, dem Stolz des „Sunshine State“ Queensland, Australischer Meister geworden, seine Kollegen wählten ihn zum zweitbesten Spieler der Liga. Endlich ein erträglicher Schlusspunkt für die Langzeitstudie, die der preisgekrönte Dokumentarfilmer Aljoscha Pause 2003 mit dem jungen Broich begann. Heute hat Pauses Film beim 11-mm-Fußballfilmfestival in Berlin Premiere.

Es ist im Grunde die klassische Auswanderergeschichte, das neue Leben XXL. Und auch wenn es vielleicht nur ein Glück der Größe M ist, kommt Broich doch gerade alles gigantisch vor. Weil er sich vor der großen Überfahrt so klein und mickrig fühlte. „Ich hatte so einen Rucksack auf“, sagt Thomas Broich und deutet mit weit ausgebreiteten Händen die Ausmaße an. Doch Broich war kein Backpacker mit „Work & Travel“-Visum, und der Rucksack, den er meint, war für andere nicht sichtbar. „Ich war mental so am Boden, dass ich einfach weg musste“, sagt Broich über den Sommer 2010. In Nürnberg hat er da gerade die schlechteste Saison seiner Karriere gespielt. Doch was heißt gespielt? Sieben Spiele, nur eins in voller Länge: Der Mann, der einst in Gladbach als „neuer Netzer“ und in Köln als Podolskis Nachfolger mit der Nummer 10 gehypt wurde, ist nicht mal mehr Ergänzungsspieler beim Liga-16. „Es war klar, dass die Reise für mich zu Ende geht“, sagt Broich. Doch in Wirklichkeit geht Thomas Broichs Reise da erst los. Sein Mitspieler Dario Vidosic vermittelt den Kontakt nach Brisbane, und Broich wechselt nur wenig später von Franken an die australische Ostküste. „Erst als ich dort war, habe ich festgestellt, wie groß der Schritt eigentlich wirklich war“, sagt er.

Der 20-Stunden-Flug ist vor allem eine Flucht vor dem eigenen Image. Denn für die deutschen Medien ist Thomas Broich stets der intellektuelle Fußballer gewesen, der von einem Philosophiestudium träumt und sowieso überhaupt nicht dem Bild des stummen, taffen Fußball-Arbeiters entspricht. Ein Image, das der junge Profi selbst befördert hat. „Ich bin bereitwillig in die Falle getappt“, sagt er. Mit 24 doziert er im „Spiegel“-Interview über Dostojewski und Schopenhauer, statt mit frisierten Sportkarren wie seine Mitspieler tuckert Broich mit einem Mercedes-Oldtimer zum Training, selbst ins Entmüdungsbecken nimmt er ein Buch mit. Aus zwei Jahren Klavierunterricht macht der „Kicker“ den „Mozart mit der Kugel“.

„Das Klischee hat sich verselbstständigt“, sagt Broich. Als es fußballerisch nicht mehr so läuft, ist die Fallhöhe längst enorm hoch. „Ich habe auf kickenden Philosophen gemacht, hatte mental aber überhaupt nicht das Rüstzeug, die Kehrseite abzukönnen“, sagt Broich. „Ich habe die Tragweite total unterschätzt und mich selbst gleichzeitig total überschätzt.“ Gladbach, Köln, Nürnberg: immer weniger Einsätze, immer weniger Highlights. „Es war grausam und frustrierend. Es hat mir die Lust und die Liebe am Fußball verhagelt. Ich habe am Ende regelrecht Verachtung empfunden.“ Schließlich habe sich bei ihm eine „eine Art Trotzhaltung, ein Beleidigtsein“ eingestellt, was den Abwärtstrend nur noch beschleunigte. Er habe sich in einer „Fußballdepression“ wiedergefunden, sagt Broich heute, allerdings rein berufsbezogen. „Ich war weit davon entfernt, wirklich depressiv zu sein. Aber ich war auf dem Trainingsplatz bleiern und steif und unfassbar schlecht, das war sicher auch psychosomatisch.“

In der Sonne Australiens ist die bleierne Müdigkeit der Bundesliga-Tage endlich vorbei. Doch die alten Abwehrreflexe sind noch da. Nach sensationellem Beginn in der A-League folgen im Dezember ein paar schwächere Spiele. „Da lief der Film schon wieder ab in meinem Kopf“, sagt Broich, „bis ich gemerkt habe: Der ganze Druck und die negative Art kommt von innen.“ Das Interesse der australischen Medien am Fußball ist gering, und die Lebensformel auf dem fünften Kontinent ist ohnehin „no worries“. Keine Sorgen, wird schon alles. „Das war total neu für mich“, sagt Broich, „ich habe festgestellt, dass die Welt gar nicht so bösartig ist.“ Brisbane Roar dominiert die Liga – und Broich wird als genialer Spielgestalter gefeiert. In einem dramatischen Finale nach 0:2-Rückstand in der Verlängerung gewinnt Thomas Broich den ersten Titel seiner Profikarriere.

„Tom meets Zizou“ heißt der Film, der heute in Berlin Premiere hat – der Titel hat seinen Grund. Denn Zinedine Zidane ist Broichs größtes Idol. Über die „weiße Katze“ aus Marseille gerät er leicht ins Schwärmen: „Die Art, wie er sich bewegt, ist unglaublich. Diese Weichheit der Bewegungen, das ist schon fast wie Poesie.“ Nach dem letzten Satz hält er kurz inne. Klang das zu sehr nach Mozart? Keine Ahnung, sagt Thomas Broich dann auf die Frage, wo denn jetzt die Reise hingehe, und dreht sein Gesicht in die Kreuzberger Nachmittagssonne. „Wichtig ist, dass es überhaupt wieder eine Perspektive gibt.“

„Tom meets Zizou“ ist heute als Eröffnungsfilm des 11-mm-Fußballfilmfestivals um 19.30 Uhr im Babylon Berlin-Mitte, Rosa-Luxemburg-Straße 30, zu sehen.

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