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Im Dezember 2008 war das Olympiastadion fest in türkischer Hand. Damals spielt Galatasaray in Berlin gegen Hertha BSC - und hatte praktisch ein Heimspiel.

© dpa

Gastkommentar: Hertha BSC und das verschenkte Potenzial

Unser Gastautor Murat Tebatebai beschreibt, wieso türkische Migranten in Berlin um Hertha BSC einen großen Bogen machen - und warum sich das vielleicht in den nächsten Jahren ändern könnte.

Eines meiner beeindruckendsten Spiele, die ich in einem Stadion erleben durfte, fand am 3. Dezember 2008 statt. An diesem eisig kalten Tag begrüßte Hertha BSC in der Gruppenphase des UEFA-Cups den türkischen Topklub Galatasaray Istanbul im Olympiastadion. Beeindruckend war nicht das Ergebnis (Galatasaray gewann 1:0), sondern die Tatsache, dass die Berliner im eigenen Stadion ein Auswärtsspiel austragen mussten. Von den circa 60 000 Zuschauern feuerten 40 000 meist türkischstämmige Gala-Fans ihre Mannschaft in einer Intensität über 90 Minuten an, wie ich es noch niemals erlebt hatte. Von der berühmten Ostkurve des Hauptstadtklubs war weit und breit nichts zu hören. Das eher weitläufige Olympiastadion wurde zu einem Hexenkessel umfunktioniert. 

Wieso haben die Verantwortlichen von Hertha BSC es eigentlich versäumt, die türkischen Migranten in Berlin für ihren Klub zu gewinnen? Dies war der erste Gedanke, der mir während des Spiels durch den Kopf schoss. Böse Zungen behaupten, dass Galatasaray-, Besiktas- und Fenerbahce-Fans im Ganzen mehr Anhänger in Berlin zusammenbringen als die Hertha selbst. Würde es gelingen, nur einen kleinen Teil dieser im positiven Sinne Fußballverrückten auf seine Seite zu ziehen, wäre nicht nur das Olympiastadion ständig ausverkauft, sondern der Verein hätte auch automatisch die meisten Fans in einer deutschen Großstadt.

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Warum in die Nähe schweifen, wenn das Gute liegt so fern?

Doch wer sich heutzutage im Wedding, Kreuzberg oder Neukölln umschaut, merkt schnell, dass kein Interesse an der "alten Dame" existiert. Türkische Kinder und Jugendliche laufen meistens mit den Trikots der drei großen Istanbuler Klubs herum. In den türkischen Geschäften sieht man nur Wimpel oder Fahnen selbiger. Vereinzelt bekennt sich der eine oder andere zum FC Barcelona oder Real Madrid. Die türkische Liga – die Süper Lig – erfährt am Wochenende in den türkischen Kneipen sowie Teehäusern mehr Zuspruch als die Bundesliga.

Die Hertha-Saison im Bilder-Rückblick

Befragt man die Türken in Berlin, warum das Desinteresse an der Hertha so groß ist, erntet man zunächst ein Schulterzucken. Nach einer Weile des Zögerns erhält man dann einige Antworten. Für die einen sind die Fans des Klubs zu rechts, für die anderen der gesamte Verein in seinen Strukturen zu deutsch, zu wenig Multikulti. Den zahlreichen Brandenburger Fans gehe man lieber aus dem Weg. Zuweilen findet man welche, die ein- oder zweimal im Stadion bei einem Bundesligaspiel waren und von den so genannten Hertha-Fröschen angepöbelt wurden. Die wollen doch überhaupt gar keine türkisch-stämmigen Fans in ihrem Umfeld, heißt es. Rassistische und ausländerfeindliche Sprüche im Stadion würden letztendlich auch die türkischen Besucher treffen. Das Olympiastadion sei ein zu heißes Pflaster diesbezüglich.  Die Vereinsführung bemühe sich auch kaum um Migranten. Außerdem habe man selbst genügend türkische Fußballklubs in Berlin in den unteren Ligen. Hertha müsse nicht sein, so das Credo allgemein. Mit anderen Worten: Der Verein spiegelt die Einwanderungsstadt Berlin nicht wider.

Vom Westberliner Arbeiterklub zum Multikulti-Verein?

 

Läßt man die letzten Jahre Revue passieren, hat der Verein allerdings einiges auf die Beine gestellt, um den oben genannten Klischees zu begegnen. So unterstützt die Hertha-BSC-Stiftung schon seit langem Projekte im Sport zur Integration ausländischer Jugendlicher. Zusammen mit dem Berliner Sender Metropol FM wurde ein deutsch-türkischer Fanklub gegründet. Das türkische Ministerium für Kultur und Tourismus gewann man im August letzten Jahres als Sponsor des Vereins. Auf seiner Homepage sprach er sich zum wiederholten Male gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit aus. Leider kommuniziert der Vorstand innerhalb der türkischen Community diese Aktionen in unzureichendem Maße. Zudem wurde der  Webauftritt in türkischer Sprache  nach dem Abgang des Spielers Yildiray Bastürk mit der Begründung  abgesetzt, dass kaum ein Internetverkehr bestand. Unverständlich für eine Metropole mit über 150 000 türkischstämmigen Berlinern. 

Soll Hertha BSC für die türkische Community in  Zukunft attraktiver werden, muss sie ihr Image ändern, ein wenig mehr Multikulti auf allen Ebenen wagen. Für einen Imagewandel braucht der Verein einen langen Atem. Es ist wohl ein Projekt für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahre, viele Rückschläge miteinbezogen. Im Endeffekt wird dieser Imagewechsel dazu beitragen, auch andere Migrantencommunities an den Verein zu binden. Man denke nur an die ansteigende Zahl russischer und polnischer Berliner. Ob die Vereinsführung diese Geduld aufbringen kann, bleibt ungewiss. Und ob die heutigen Hertha-Fans so eine Kehrtwende mitmachen, ebenfalls. So werden weiterhin die Fußballstars aus Istanbul mehr Aufmerksamkeit erhalten als Mijatovic, Ramos, Lell und Co.

Murat Tebatebai ist Dipl.-Politologe. Er lebt seit November 2009 in Huamanga, Peru und kehrt im November 2012 nach Berlin zurück, wo er seit 1988 heimisch ist. Tebatebai hat an der FU studiert und unter anderem für den Bundestag und das Berliner Abgeordnetenhaus gearbeitet.

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