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Sport: Gebrochene Hand, geänderte Hierarchie

Nationaltorwart Robert Enke fällt wegen eines Kahnbeinbruchs aus, René Adler wird wohl Nummer eins

Vor einigen Wochen hatten die Fans von Bayer Leverkusen schon eine hässliche Einstimmung auf die Entwicklung gegeben. „Adler für Deutschland, Enke raus“, brüllten sie aus der Stadionkurve in Leverkusen, als am 19. September ihr Klub in einem einseitigen Bundesligaspiel 4:0 gegen Hannover 96 siegte. Der Leverkusener René Adler stand weitgehend beschäftigungslos herum, Robert Enke weitgehend schuldlos in Hannovers Tor. Doch seit gestern gilt als sicher, dass es in der Nationalelf beim WM-Qualifikationsspiel morgen in Dortmund gegen Russland (20.45 Uhr/live ARD) genauso kommt, wie es die Krakeeler gerufen haben. Adler, 23, wird spielen, Enke, 31, sitzt nicht einmal auf der Tribüne.

Unverschuldet Schuld trägt Philipp Lahm, der am Mittwoch beim nichtöffentlichen Training auf dem Platz an der Düsseldorfer Arena einen tückischen Schuss abgab. Der Berliner Arne Friedrich schilderte als Augenzeuge die Szene so: „Der Philipp schießt nicht wirklich fest, der Robert wehrt unglücklich ab, aber wir dachten alle, da ist nichts Schlimmes.“ Der Betroffene hatte indes sofort eine böse Vorahnung. „Es war eigentlich eine harmlose Situation. Aber ich konnte die Hand nicht richtig stabilisieren. Sie ist mir nach hinten weggegangen. Da habe ich schon gemerkt, dass es etwas Schlimmeres sein kann“, teilte Enke gestern aus einem Düsseldorfer Hotel mit, ehe er sich zu Handspezialisten ins Unfallkrankenhaus Hamburg-Bergedorf begab.

Eine Kernspintomografie brachte ein niederschmetterndes Ergebnis für ihn: Kahnbeinbruch an der linken Hand, heute wird Enke operiert. So haben es die Ärzte in Hamburg-Bergedorf entschieden, die zu den renommiertesten Handspezialisten in Deutschland zählen. Mindestens acht Wochen Spielpause bedeutet das, davon geht Enke aus. Wego Kregehr, der Mannschaftsarzt von Hannover 96, befürchtet sogar eine längere Auszeit. „Bei optimalem Heilungsverlauf wird Robert in zwölf Wochen wieder im Tor stehen“, sagt Kregehr. Komplikationen erwartet er jedoch nicht, weil der Bruch schnell erkannt und behandelt worden sei.

Hannovers Torwarttrainer Jörg Sievers macht Enke Mut. „Die Verletzung ist unangenehm, aber nicht dramatisch und wird keine Spuren hinterlassen. Robert wird zum Rückrundenauftakt gegen Schalke ins Tor zurückkehren und seine gewohnte Leistung zeigen.“ Enke selbst sagt: „Es gibt Schlimmeres als einen Kahnbeinbruch.“ Das kann ein Familienvater sagen, der seine Tochter Lara im Alter von zwei Jahren wegen eines angeborenen Herzfehlers verloren hat.

Aber: Ein Kahnbeinbruch, der Nicht-Torhütern meist passiert, wenn sie sich bei einem Sturz mit der ausgestreckten Hand abfangen wollen, ist mit das Übelste, was einem Torwart geschehen kann. Die vieldiskutierte Torwart-Hierarchie muss nun auch neu geordnet werden. Gut möglich, dass der gebürtiger Jenaer Enke nicht mehr als jene bisherigen vier Länderspiele machen darf, wenn sich der gebürtige Leipziger Adler etabliert. Denn es gilt als ausgemachte Sache, dass das begnadete Talent Adler nun gegen Russland debütiert. Das Vertrauen in den 1,90-Meter-Modellathleten ist grenzenlos, wie Manager Oliver Bierhoff ausführt: „René besitzt eine positive Entschlossenheit und kann eine Abwehr gut führen. Er ist sehr aktiv und für sein Alter hat er eine gute Präsenz.“ Und Bundestrainer Joachim Löw ergänzt: „Er hat nach seiner Schulter-Operation relativ schnell wieder seine Form erreicht und eine gute Ausstrahlung auf seine Vorderleute.“

In der Liga gilt das fast Woche für Woche uneingeschränkt, aber ruft Adler seine Anlagen nun auch im wichtigsten Länderspiel des zweiten Halbjahres ab? „Falls ich spielen sollte, wird die Anspannung noch einmal steigen. Das erste Länderspiel ist eine andere Hausnummer“, gibt Adler zu, der all seine Worte sorgsam wählt. Mit Rücksicht auf den leidgeplagten Rivalen. „Es tut mir wahnsinnig leid für Robert, denn wir verstehen uns auch privat sehr gut. Ich bin keiner, der sich über Verletzungen freut.“

Nur offiziell ziert sich Löw noch, den Überflieger zur Nummer eins auszurufen und erwähnt den Bremer Tim Wiese. „Wir werden jetzt in aller Ruhe mit beiden Torhütern reden. Zudem setze ich mich mit Andreas Köpke zusammen, der die Leistungen und alle Fakten ausgewertet hat“, sagt Löw. Kein Geheimnis ist indes, dass Adler im internen Ranking vor allen anderen liegt. Den Entscheidungsträgern gilt Adler als die künftige Nummer eins. „Wir hatten glücklicherweise noch nie ein Torwartproblem“, erklärt Bierhoff und klingt dabei so sicher, als könnte sich an dieser Tradition auch beim Qualifikationsspiel gegen Russland nichts ändern.

Bernd Bartels[Düsseldorf], Thorsten Grunow

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