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Sport: Geburt einer Fußball-Nation

Von Helmut Schümann Busan. „Auf Haus“, sagte die Bedienung in der Bar des Hotels Sydney in Busan jedem hereinkommenden Gast, „the first drink is auf Haus".

Von Helmut Schümann

Busan. „Auf Haus“, sagte die Bedienung in der Bar des Hotels Sydney in Busan jedem hereinkommenden Gast, „the first drink is auf Haus". Sie gebrauchte wirklich diese beiden deutschen Wörter, keine Ahnung, woher sie sie hat, in den Tagen zuvor hatte sie außer ein paar englischen Brocken keine polyglotte Ader erkennen lassen. Aber vermutlich gehört die Sprachenvielfalt auch zu den Dingen, die sich jetzt ändern werden in Südkorea. Nun, da eine Schar hinreißender Fußballspieler und ein mitreißender holländischer Trainer ein Fußballspiel gewonnen haben und damit ein ganzes Land in einen Rausch versetzten.

Es war eine lange Nacht gewesen in Busan nach dem 2:0-Sieg Südkoreas über die Polen, dem ersten Sieg überhaupt, den Südkorea bei einer Weltmeisterschaft erringen konnte – nach 48 Jahren den ersten Sieg. Eine lange Nacht in Busan, in Seoul, in Ulsan und Daegu, überall im Land. Die Menschen verbrachten singend und tanzend und trinkend die Nacht auf den Straßen.

In Busan waren sie gleich am Strand geblieben, wo sie zuvor das Spiel auf einer Großleinwand beobachtet und bejubelt hatten. Die Einschaltquote im Fernsehen lag bei über 75 Prozent. Noch um neun Uhr am anderen Morgen preschten Autokorsos durch die Stadt, vergleichbare Jubelszenen waren später am Flughafen Gimhae zu beobachten, auch am Mittag in Seoul und am Nachmittag in Suwon, wo am Abend die USA gegen Portugal antrat. Und wer ein wenig Englisch konnte und die Sprechfähigkeit noch nicht ans Geschrei und den Alkohol abgegeben hatte, stammelte dem Fremden aus Europa ins Gesicht: „This will change this country."

Wie der Sieg das Land verändern wird, ist noch unklar, mutmaßlich wird die Restwelt jetzt mit Hyundais und Daewoos überschwemmt werden und eine Unzahl von Kimchi-Buden in New York, Rio und Berlin aus dem Boden schießen. Er wisse jetzt auch noch nicht, was passieren werde, sagte HakMan Chang, Wirtschaftskorrespondent der „Korea Times“, „aber wir hatten eine Wirtschaftsdepression in den vergangenen zwei Jahren, und nun das“. Staatspräsident Kim-Dae Jung gratulierte den Spielern noch in der Kabine.

Was ein Fußballspiel bewirken kann, weiß Deutschland aus seiner Geschichte und dem Wunder von Bern. Der Weltmeisterschaftssieg 1954 für Deutschland hat das zuvor geächtete Deutschland wieder zurückgebracht in die Weltgemeinschaft und nicht unerheblichen Antrieb zum Wirtschaftswunder beigesteuert.

„Vor ein paar Wochen noch hat sich niemand für Fußball interessiert in Korea“, sagt Cho Hyo-young, dann kam das 2:3 gegen Frankreich in der Vorbereitung, „das hat ein wenig Interesse geweckt, aber mit der Explosion von Dienstag hat niemand rechnen können.“ Mit dem Sieg gegen Polen schon, aber nicht mit der Begeisterung, die den Sieg begleitete.

Eine für das gesamte Korea bedeutende Auswirkung der Weltmeisterschaft ist indes schon jetzt zu erkennen. In Nordkorea werden mit einem Tag Verzögerung die Spiele des Turniers gezeigt, es sind mit die ersten Bilder aus dem Süden, die im nördlichen Teil des seit dem 2. Weltkrieg zweigeteilten Landes gezeigt werden. Illegal, weswegen es eine kurze, erstaunlich schmerzlose Debatte in der Fifa gegeben hat. Rechte-Inhaber Kirch Sport zeigte sich laut „Korea Times“ erfreut, dass der Fußball die Welt zusammenbringe. Und auch die Fifa gab sich generös und wird nicht in die nordkoreanische Hauptstadt Pjönjang reisen, um TV-Gelder einzutreiben. Was indes auch schwierig ist. So befördert das Land, das sich selber vom Rest der Welt abschottet, die Generosität.

Allerdings ist noch nicht bekannt, ob Südkoreas Sieg auch im Bruderland zu sehen war. In diesem Fall könnte die kommunistische Staatsführung Probleme bekommen mit ihren Bürgern, die dem Klassenfeind zujubeln. Vielleicht aber wäre das auch zu viel Kraft, die man einem historischen Fußballsieg zuschreibt.

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