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Sport: Gefärbte Haare, Tattoos und Bierdosen - "Der Tiger hat Golf zu einem coolen Sport gemacht"

Der Mann mit der Mütze wird wie ein Messias empfangen. Hunderte Fans warten auf ihn im Morgengrauen.

Der Mann mit der Mütze wird wie ein Messias empfangen. Hunderte Fans warten auf ihn im Morgengrauen. Sie halten ihm Stifte und weißes Papier entgehen. Und als der Angehimmelte ganz nahe kommt, teilt sich die Masse ehrfurchtsvoll und bildet vor dem ersten Grün ein Spalier. "Haltet die Stifte nicht zu nah an sein Gesicht", ruft einer der Leibwächter. Doch seine Mahnung verhallt ungehört. Natürlich wollen sie alle ein Autogramm von dem Helden, der eine sportliche Revolution ausgelöst hat. Und danach als Zugabe noch einen kurzen Blick des Abschlags auf der Trainingsrunde erhaschen. So geht das nun schon seit Monaten auf den Golfplätzen dieser Welt und auch beim heute beginnenden 64. US-Masters der Profigolfer in Augusta (Georgia) dreht sich wieder alles um Eldrick "Tiger" Woods. Den großen Favoriten. "Wenn ich das Clubhaus an der Magnolia Lane betrete, überkommt mich ein Gefühl der Nostalgie", erklärt der Superstar, "hier wird Geschichte geschrieben und ich möchte möglichst oft ein Teil davon sein."

Geschichten über den scheinbar Unbesiegbaren gibt es gerade dieser Tage wieder reichlich. Die US-Zeitungen überschlagen sich mit Lobesarien und das Magazin "Sports Illustrated" setzte den Meistergolfer auf seinem jüngsten Cover auf einen Thron. Sozusagen als König des grünen Reichs. "Der Tiger hat Golf zu einem coolen Sport gemacht", sagt Bob Combs, Vizepräsident der PGA-Tour, "wir haben Zuwachs von jungen Athleten, die plötzlich nicht mehr nur Basketball und Football spielen wollen. Dank Woods ist das Spiel weitaus populärer geworden, wir gewinnen ständig neue Spieler und Fans." Die Zahlen sprechen für sich. Es gibt momentan 26,4 Millionen aktive Golfer in den USA - mehr als jemals zuvor. 2,4 Millionen davon sind Minoritäten in der Bevölkerung, wie etwa die 882 000 golfenden Afro-Amerikaner, deren Anteil seit dem Profistart von Woods (1996) um 30 Prozent stieg. Auch die Zuschauerzahlen gingen kräftig nach oben. "Jedesmal wenn der Tiger spielt, haben wir enorme TV-Einschaltquoten sowie einen hervorragenden Besuch auf den jeweiligen Anlagen", unterstreicht Combs. Wobei sich das Bild des Golf-Fans enorm geändert hat. Neben den Yuppies, die mit Handy und der obligatorischen Zigarre bewaffnet sind, ziehen auch junge Männer mit gefärbten Haaren, Tattoos und Bierdosen über die Spielbahnen. Woods vereinigt sie alle in dem einst elitären Sport.

Experten sind sich einig, dass kein Golf-Profi seit Arnold Palmer Anfang der 60er Jahre für einen derartigen Boom gesorgt hat. Und ein Ende der spektakulären Spielweise des 24jährigen Amerikaners ist nicht abzusehen. Woods gehören die Schlagzeilen, wie die von den sechs Turniersiegen in Folge auf der PGA-Tour (die hatte es seit 52 Jahren nicht gegeben) oder dem Rekord-Preisgeld von 14 Millionen Dollar. Wie das amerikanische Wirtschaftsmagazin "Forbes" errechnete, erzielte der geschäftstüchtige Woods im vergangenen Jahr inklusive Werbung und Sponsorenverträgen 47 Millionen Dollar Einnahmen, womit er sogar die Lichtgestalt Jordan (40 Millionen Dollar) abhängte und zum bestbezahlten Sportler der Welt aufstieg. Fortsetzung folgt.

"Es macht einfach unheimlich Spaß, ein Turnier zu spielen und dabei zu wissen, dass ich die Chance habe auch zu gewinnen", erklärt Tiger Woods, der beim Masters auf den schwersten Grüns der Welt zum nächsten Siegessprung ansetzen wird. Der weltbeste Golfer, der als jüngster Spieler aller Zeiten bereits 1997 in Augusta gewann, wird auch von der hilflos erscheinenden Konkurrenz auf das Favoritenschild gehoben. "Tiger spielt wie ein Engel", lobte Jose Maria Olazabal (Spanien) mit Pathos und der Schotte Colin Montgomerie gestand kleinlaut ein: "Ich kann nicht die Schläge spielen wie Tiger. Er ist der weitaus Beste und aus Sicht der Spieler wird sich daran in den nächsten Jahren nicht sehr viel ändern." Auch Bernhard Langer (Anhausen), der 1985 und 1993 das grüne Jacket des Siegers überstreifen durfte und diesmal krasser Außenseiter ist, spricht von Woods als "eindeutiger Nummer eins". Und weiter: "Aufgrund der jüngsten Ergebnisse kann eigentlich nur er gewinnen. Der Mann spielt in einer anderen Welt." Protestieren zwecklos.

Doch auch außerhalb seines Arbeitsplatzes hat der umjubelte Seriensieger gewaltig an Statur gewonnen. Das einstige Wunderkind, das bereits im Alter von zwei Jahren in einer TV-Show in einem Putt-Duell gegen Komiker Bob Hope antrat, ist erwachsen geworden. Sein Verhältnis zu den Eltern ist zwar immer noch eng und liebevoll. "Aber", wie "Sports Illustrated" bemerkte, "seine Schlagzahlen gehen nicht mehr in den Keller, wenn Earl Woods krank ist oder Mutter Kultida das Essen anbrennen lässt." Darüber hinaus wahrt der Superstar mehr Distanz zu seiner Entourage aus ehemaligen College-Freunden, die ihn in den ersten zwei Jahren des Tour-Lebens oft begleiteten und bei Laune hielten. Der gereifte Tiger ist auf dem Weg zum Weltmann á la Jordan, wobei er auch mit seiner eigenen Stiftung kräftig Pluspunkte sammelt.

"Er ist nicht nur der beste Golfer sondern auch ein erstklassiger Mensch", lobte Popstar Celine Dion den Tiger mit Herz, der mit seiner Organisation unterprivilegierten Kindern hilft und bereits vier Millionen Dollar an Spenden sammelte. Woods unterrichtet die Kids dabei auch selbst im Golfspielen, wobei es dem 24jährigen in erster Linie aber nicht um Putts oder Boogies geht: "Das Training soll ihnen zeigen, dass sie etwas aus sich machen können. In unserer Stiftung steht Menschlichkeit im Vordergrund." Kein Wunder, dass sich der eloquente Posterboy mit dem sauberen Image prima vermarkten lässt.

Als sich im Dezember in New York bei der Wahl der Jahrhundertsportler Größen wie Jordan und Muhammad Ali trafen, stand auch Woods beim großen Abschlussfoto im illustren Kreis. "Für mich war dies einer der größten Momente der Sportgeschichte", sagte Woods, "aber ich fühlte mich auch etwas unwohl. Denn ich glaube nicht, dass ich aufgrund meiner bisherigen Leistungen bereits in diese Gruppe gehörte." Doch auch ein (Golf-)Messias kann sich einmal irren. Der sichtlich nervösen Konkurrenz um Hal Sutton, Davis Love III (beide USA) und Titelverteidiger Jose Maria Olazabal (Spanien) bleibt nichts anderes übrig, als sich mit den Worten des Amerikaners David Duval Mut zu machen: "Hier in Augusta gewinnen selten die, die eigentlich gewinnen sollten."

Stefan Liwocha

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