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Sport: Gefühlte Heimat

Die Kanutin Katrin Borchert paddelte zehn Jahre für Australien – jetzt ist sie wieder zurück

Berlin. Sie raste über die Autobahn, Richtung Norden, Richtung Essen. Es war noch früh, und durch die Windschutzscheibe sah sie die aufgehende Sonne. Die Luft war klar, der Himmel wolkenlos, es würde ein schöner Tag. Sie kannte seit zehn Jahren fast nur schöne, sonnige Tage. In ihrer Welt gab es fast nur schönes Wetter. Aber diese Welt hatte sie gerade hinter sich gelassen. „Das ist ein Omen“, sagte Katrin Borchert zu Heino Terporten, der neben ihr saß. Bestimmt klang er ziemlich pathetisch, dieser Satz. Denn als Katrin Borchert an diesem Tag im Mai morgens um fünf in Frankfurt landete, machte sie nicht bloß einen Besuch. Sie ließ zehn Jahre Australien hinter sich. Sie hatte Angst vor Nässe, Regen und dunklen Wolken, sie hatte Angst vor einer Atmosphäre, die sie erstmal runterziehen würde. Deshalb dieses Pathos. Aber am Flughafen wartete Terporten, der alte Kumpel, der Manager der Kanugemeinschaft Essen, ihres Vereins, aus dem sie nie ausgetreten war. Ein bekanntes Gesicht.

Die Weltklasse-Kanutin Borchert, aufgewachsen in Neubrandenburg, letzte deutsche Adresse: Essen, benötigte diese vertrauten Bilder. Alles war letztlich doch so schnell gegangen. Im April erst beschloss sie definitiv, wieder für Deutschland zu starten, nach zwei Olympia-Teilnahmen für Australien. „Meine Mutter hatte eine schwere Operation, und als Tochter merkt man, dass die Eltern älter werden. Ich möchte mich um sie kümmern.“ Und Erik wohnt in Essen, ihr Freund, ein Kanute. Sie sind seit zwei Jahren zusammen, die Entfernung war irgendwann zu anstrengend.

Als sie ging, vor zehn Jahren, war es die Beziehung zu Josef Capousek, dem deutschen Cheftrainer, die zu anstrengend war. Capousek bevorteile die Kanu-Legende Birgit Fischer, sagte sie damals. Und weil die mehrmalige Weltmeisterin Borchert sich in einen Australier verliebte, siedelte sie auf den Kontinent über, neue Staatsbürgerschaft inklusive.

Beide Seiten profitierten voneinander. Borchert wohnte in Gold Coast, eine Fahrstunde südlich von Brisbane, studierte an der örtlichen Griffith University Sportwissenschaft, wo Professoren lehren, die genügend Verständnis für ihr Training hatten. Das Sportinstitut des australischen Verbandes lag mit eigenem Bootshaus vor ihrer Tür. Ein Bauunternehmer finanzierte sie. Katrin Borchert hatte sonst nichts. Keine Sporthilfe, keinen Klub, der zahlte. Für Bronze bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney bekam sie gerade mal 7500 Dollar.

Aber sie hatte Aufmerksamkeit. Mehr jedenfalls als in Deutschland. Katrin Borchert war die beste australische Kanutin. Das war nicht schwer, Konkurrenz fehlte. Sie durfte vor Unternehmern reden, in Schulen für Kanu werben. Das fand sie toll. Aber dann fuhr sie mal nach durchfeierter Nacht und in entsprechendem Zustand morgens um halb sechs mit der S-Bahn nach Hause, als plötzlich eine Frau durchs Abteil kreischte: „Das ist ja Katrin Borchert. Leute, schaut mal, unsere Weltmeisterin.“ Die Weltmeisterin fand das alles hochpeinlich und wurde „immer kleiner“. Die Frau war die Mutter einer Schülerin, der Borchert ein paar Wochen zuvor vom Kanufahren vorgeschwärmt hatte.

Aber Katrin Borchert war nie ein großes Idol wie etwa Ian Thorpe, der Star-Schwimmer. Kanu ist kein Volkssport in Australien. Deshalb war John Sumigi „erstmal schockiert“, als sie ihm erklärte, sie wolle zurück. Aber dann sagte der australische Cheftrainer nur: „Okay.“ Sein Verband gab sie frei, Borchert dürfte deshalb 2004 wieder für Deutschland an den Olympischen Spielen teilnehmen. Es wären ihre fünften Spiele. 1992 gewann sie Silber, 1996 Bronze. Der deutsche Verband nimmt sie problemlos auf, einen Tag nach ihrer Rückkehr fuhr sie schon eine Ausscheidung. Im Einer über 500 Meter landete sie auf Platz sechs.

Die KG Essen hat ihr einen Job bei der Messe Essen verschafft, ein gute Wahl. Sie bekommt genügend Zeit fürs Training. Die 34-Jährige wird jetzt erstmal in Essen bleiben, wo ihre Eltern wohnen. Die Eltern sind ein bisschen zwiegespalten. Sie freuen sich über die Rückkehr, aber sie sagen auch: „Wer weiß, was Du Dir an Möglichkeiten verbaust.“ Aber die Tochter weiß es. „Die deutsche Konkurrenz ist hart. Es wird schwer, sich für Olympia zu qualifizieren.“ Ihre Wohnung in Australien betreuen jetzt Freunde, sie kam ja nur mit zwei Koffern, 70 Kilo Gepäck, zurück. Was nach 2004 passiert, wird sich zeigen. Gut möglich, dass sie ganz bleibt. „In meinem Alter rückt die Familie mehr in den Vordergrund als der Sport.“ Sie hat auch nicht mehr dieses Wilde, dieses Energische, das sie weggetrieben hat. „Ich bin gelassener geworden“, sagt Katrin Borchert. Das ist gut so. Der deutsche Cheftrainer heißt immer noch Josef Capousek.

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