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Sport: Gegen alle Widerstände

Herthas Manager Hoeneß glaubt, „Qualität setzt sich durch “ – aber ist der Kader wirklich gut genug für die eigenen Ansprüche?

Von Klaus Rocca

und Michael Rosentritt

Berlin. Ganz beiläufig war Fredi Bobic eine Wahrheit rausgerutscht. Als Bobic noch gegen Hertha BSC stürmte, sagte er: „Schaltet diesen Brasilianer aus, und das Spiel lahmt.“ Mit diesem Brasilianer ist Marcelinho gemeint. Der war Herthas erfolgreichster Torschütze, erfolgreichster Torvorlagengeber und Herthas einziger Regisseur der vergangenen beiden Jahre. Und genau deshalb ist Marcelinho Herthas größtes Problem. Wenn er spielt, muss sich der Gegner nur auf ihn einstellen, um Hertha in Schwierigkeiten zu bringen. Noch schlimmer wird es jedoch, wenn er gar nicht spielt. So wie derzeit, da er mit einem Fußbruch zum Zuschauen verdammt ist. Prompt ist Hertha die harmloseste Mannschaft im deutschen Profifußball.

Der 28-Jährige ist nicht adäquat zu ersetzen. Das sagen mittlerweile viele – und viele haben es auch schon vor dem 2. August, dem Tag seines Fußbruchs, gesagt, doch bei Hertha hat niemand daraus Schlüsse gezogen. „Ist Marcelinho ausgeschaltet, hat Hertha ein Problem“, sagte auch Günter Netzer schon vor Monaten und kritisierte damit indirekt die Personalpolitik der Berliner. Marcelinho ist so etwas wie die Seele des Hertha-Spiels. Ohne ihn ist Hertha kaum mehr als Bundesligamittelmaß. Momentan nicht mal das. Und das selbst gesteckte Ziel Champions League gerät schon jetzt in Gefahr.

Natürlich ist es Pech, dass Marcelinho so lange ausfällt. Doch spätestens jetzt sieht es so aus, dass der Kader zu schwach für die eigenen Ansprüche ist. Obwohl Manager Dieter Hoeneß energisch widerspricht. „Wir schließen nicht vom Moment aufs Gesamte. Es ist genügend Qualität vorhanden. Auf Dauer wird sich Qualität auch durchsetzen“, sagt Hoeneß.

Vielleicht. Doch es besteht die Gefahr, dass Hertha schon schon zu weit ins Hintertreffen geraten ist, bevor der Brasilianer wieder ins Training einsteigt. Vom Fitsein ganz zu schweigen. Drei Ligaspiele wird er fehlen. Wenn es optimal läuft, nur zwei. „Wir haben nicht einem Moment daran gedacht, Ersatz zu kaufen“, sagt Hoeneß. Spieler von der Qualität Marcelinhos gebe es in der Bundesliga ohnehin nur drei oder vier. „Wenn Marcelinho über einen sehr viel längeren Zeitraum ausfallen würde, „hätten wir neu nachgedacht“.

Auch Trainer Huub Stevens will nichts von einer Ergänzung des Kaders wissen. „Natürlich, man hätte einen Mann wie D’Alessandro holen können. Doch der kostet Geld, das wir nicht haben.“ Und überhaupt: Was würde passieren, wenn einer wie der Argentinier sich ebenfalls verletzen oder gesperrt werden würde? „Und was würde mit einem so teuren Spieler passieren, wenn Marcelinho wieder fit wäre? Den könnte man doch dann nicht auf die Bank setzen.“ Das Problem müsse eben so gelöst werden, wie er es versucht habe: mit Andreas Neuendorf auf der Position oder, indem man die Verantwortung auf mehrere Schultern verteilt. „Wir haben doch gegen Freiburg und in den ersten 20 Minuten des Spiels in Frankfurt auch ohne Marcelinho genug Chancen herausgespielt. Wir müssen sie nur verwerten“, sagt Stevens.

In diesem Zusammenhang wurde jetzt der Name Francisco Copado, Spielmacher der SpVgg Unterhaching, ins Gespräch gebracht. „Da ist nichts dran“, sagt Hoeneß. Null Tore in vier Spielen schreien jedoch nach Veränderungen. „Sicher, wenn wir nur die nackten Ergebnisse betrachten, sprechen momentan die Argumente gegen uns. Deshalb gehen wir in die Tiefenanalyse.“ Die besagt unter anderem, dass sich Hertha in den ersten vier Bundesligaspielen 20 gute bis sehr gute Torchancen erspielt hat. Was die Ansicht des Trainers nur unterstreicht.

Marcelinho ist jedoch nicht nur für das Herausspielen von Torchancen zuständig, sondern auch für das Toreschießen selbst. „Wir haben zwei Stürmer geholt, die in der vergangenen Saison noch Tore geschossen haben, und das werden sie auch für uns noch“, sagt Hoeneß. „Wir müssen jetzt den Spielern, bei denen ich die Risikobereitschaft vermisse, Sicherheit geben.“ Die setzen sich heute bei einer Art Krisengipfel zusammen, um die weitere Marschroute festzulegen.

Nach Ansicht von Hoeneß, wird es in Berlin kein zweites Leverkusen geben. „Dadurch, dass wir von sehr weit unten kamen, mussten wir einige Krisen bewältigen.“ Leverkusen dagegen schwamm jahrelang auf einer Erfolgswelle. „Nach allem, was ich gehört habe, muss wohl das Klima innerhalb der Mannschaft nicht in Ordnung gewesen sein“, glaubt Hoeneß. „Bei uns wird es nicht so weit kommen. Wir werden alles, was die Stimmung innerhalb der Mannschaft oder das Gefüge stören kann, abwehren.“ Und darauf hoffen, dass die Durststrecke ohne Marcelinho nicht noch fatalere Folgen hat.

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