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Sport: Gegen das Trauma

Sechstes Spiel, sechster Sieg: Holland setzt sich mit 3:2 gegen Uruguay durch und steht zum dritten Mal nach 1974 und 1978 im WM-Finale – gewonnen haben die Niederländer den Weltpokal noch nie

Wesley Sneijder trifft und trifft und trifft und weckt damit bei seinen Landsleuten die Hoffnung auf Erlösung von einem nationalen Trauma. Endlich einmal Fußball-Weltmeister werden. Im WM-Halbfinale von Kapstadt schoss Sneijder sein fünftes Tor im Turnier, es war das 2:1 und ebnete seiner Mannschaft den Weg zum 3:2 (1:1)-Sieg über Uruguay. Nach dem sechsten Sieg im sechsten Spiel in Südafrika stehen die Holländer zum dritten Mal in einem Endspiel um die Weltmeisterschaft. Am Sonntag geht es in Johannesburg gegen den Sieger des zweiten Halbfinals zwischen Deutschland und Spanien. Schon jetzt aber steht fest, dass zum ersten Mal eine europäische Mannschaft außerhalb Europas Weltmeister wird.

Es war ein hartes Stück Arbeit, denn die Niederländer bestimmten das Geschehen erst einmal nur in den Anfangsminuten. Nach einem ersten Flankenlauf von Arjen Robben und halbherziger Faustabwehr von Fernando Muslera befand sich Dirk Kuyt unversehens in guter Schussposition, aber er setzte den Ball einen Meter über die Latte. Die nächste Chance hatte Sneijder. Der Held des Viertelfinalsiegs über Brasilien dribbelte geschickt am Strafraum, doch einen erfolgreichen Abschluss verhinderte die Hüfte seines Mannschaftskollegen Robin van Persie.

Das Führungstor fiel folgerichtig, überraschend war allein der Schütze. Nicht Robben, van Persie oder Sneijder, keiner der üblichen Verdächtigen aus dieser mit überragender Offensivkraft gesegneten Mannschaft. Sondern Giovanni van Bronckhorst, gemeinhin zuständig für das Verhindern von Toren. Der Mannschaftskapitän wurde in halblinker Position fast 40 Meter vor dem Tor von Kuyt angespielt, und da sich kein Uruguayer so recht um ihn kümmern mochte, schoss er einfach. Der Ball flog immer weiter, vergeblich streckte Muslera den Arm aus, er kam nur noch mit den Fingerspitzen dran, und schon stand es 1:0.

Weil das schon nach 18 Minuten geschah, drohte die Qualität des Spiels schon zu leiden, bevor sich überhaupt eine entfalten konnte. Die Holländer sind nicht mehr die ungestüm anrennende Mannschaft, die einen knappen Sieg als Makel empfindet und erst nach dem zweiten, dritten oder vierten Tor zufrieden ist. Unter Bert van Marwijk erfreuen sie sich zur Not auch der Kunst des erfolgsorientierten Verwaltens. Entsprechend zurückhaltend gestalteten sie das Spiel nach dem unverhofft guten Start, im festen Vertrauen darauf, ein technisch eher minderbemittelter Gegner wie Uruguay könne ihnen nicht mehr gefährlich werden, zumal er durch die Ausfälle der gesperrten Luis Suarez und Jorge Fucile sowie der verletzten Diego Lugano und Nicolas Lodeiro schwer angeschlagen war.

Doch so einfach machte es ihnen der Außenseiter aus Südamerika nicht. Die Uruguayer zeigten sich überhaupt nicht beeindruckt und nahmen die von den Niederländern ausgesprochene Einladung zum längeren Verweilen in deren Platzhälfte dankend an. Sie hatten ja auch nichts zu verlieren, der Einzug ins Halbfinale war mehr, als ihnen jeder auch in der Heimat zugetraut hatte. Entsprechend unbeschwert spielten sie auf, sie hatten Pech bei ein paar strittigen Abseitsentscheidungen und zeigten auch einen Anflug von Übermut, etwa als Martin Caceres an der Strafraumgrenze einen Fallrückzieher versuchte, dabei aber nicht den Ball traf, sondern das Gesicht des Holländers Demy de Zeeuw. Bei van Bronckhorsts Schubser gegen Edinson Cavani geben strenge Schiedsrichter schon mal einen Elfmeter, und Cavanis Solo ein paar Minuten später blockte John Heitinga gerade noch so ab.

Uruguay war wieder im Spiel, so dass der Ausgleich kurz vor der Pause vielleicht ein bisschen überraschend fiel, aber keinesfalls aus dem dunkelblauem Kapstädter Himmel. Und natürlich erzielte ihn Diego Forlan, der überragende Individualist dieser vom Geist des Kollektivs geprägten Mannschaft. Ein Haken nach links, einer nach rechts, dann schoss Uruguays Kapitän aus 25 Metern so krumm und unberechenbar wie schon im Viertelfinale gegen Ghana, direkt in die Mitte des Tores, aber Maarten Stekelenburg touchierte den Ball nur noch hilflos mit der Handfläche. Es war das vierte WM-Tor des Stürmers von Atletico Madrid.

In der zweiten Hälfte durfte sich Rafael van der Vaart an Stelle von de Zeeuw versuchen. Der frühere Hamburger war es dann auch, der nach zunächst guten Chancen für Uruguay (Alvaro Pereira, Forlan) das Zeichen zur Wende gab. Seinen Schuss klatschte Muslera vor die Füße von Robben, der aber schoss aus spitzem Winkel zu hoch. Kurz darauf aber fiel dann endlich das erlösende 2:1. Bei Sneijders Drehschuss in der 70. Minute stand der Muslera irritierende van Persie vielleicht ein paar Zentimeter im Abseits, aber das war für das menschliche Auge kaum zu erkennen. Als Robben dann drei Minuten später auf Flanke von Kuyt kurioserweise mal per Kopf traf, war das Spiel entschieden. Erst in der Nachspielzeit verkürzte Maxi Pereira auf 2:3. Es wurde noch einmal spannend – oder wie Rafael van der Vaart es ausdrückte: „Ich habe noch nie so viel Angst im Leben gehabt.“

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