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Sport: Gelassenes Bangen

Der FC Bayern schielt noch auf drei Titel. Und fürchtet doch, leer auszugehen.

An Tagen wie diesen, einem Tag, nachdem die Helden triumphierten, wird die Heimstätte des FC Bayern München zur Pilgerstätte, zum Wallfahrtsort. Vielleicht 3000 Fans bestürmen am Mittwoch den großen Trainingsplatz, drängen sich auf die kleine Tribüne oder staunen an der Südseite des Geländes durch den Maschendrahtzaun. Es wabert etwas Andächtiges über den Platz. Und wenn die Heroen der vorherigen Nacht, die, die den Einzug ins Halbfinale der Champions League mit dem 2:0 über Olympique Marseille perfekt gemacht haben und nun zum Auslaufen über die Anlage traben, wenn die sich den Zuschauern nähern, ist ein wenig Beifall zu vernehmen. Ehrfürchtiger Beifall ist das, dezent nur, man grölt schließlich nicht in der Kathedrale.

Oder ist es die Gelassenheit der Ruhe, die in der Kraft liegt, weil diese Kraft gar nicht nötig war, um harmlose Franzosen aus der Bahn zu werfen? Nach dem 1:0 in der 13. Minute durch Ivica Olic, der Mario Gomez vertreten durfte, war nach dem ebenfalls 2:0 gewonnenen Hinspiels die Angelegenheit Viertelfinale abgehakt. Nach dem zweiten Tor von Olic in der 37. Minute deklarierte sich das Spiel zum Freundschaftsspiel. Nicht der Anstrengung wert, diese Mannschaft aus Marseille. Spitze, Hacke, eins, zwei, drei, das reichte völlig aus und bot den 66.000 Zuschauern in der ausverkauften Arena einen vergnüglichen Abend. Franck Ribéry steuerte zum Vergnügen auch noch spektakuläre, atemberaubende Stückchen bei. Tritt er so auch im Halbfinale gegen Real Madrid auf, dürfen sich die Bayern Hoffnung auf mehr machen. Zumal dann, am 17. April in München und am 25. April in Madrid, auch Arjen Robben und Mario Gomez dabei sein werden, die, der eine komplett, der andere, Gomez, zu weiten Teilen auf der Bank Platz nehmen durften.

Es ist aber nicht unrealistisch, dass sich in der vermeintlichen Entspanntheit auch ein wenig Bänglichkeit versteckt hält. Gewiss, der FC Bayern steht vor dem größten Erfolg der Vereinsgeschichte. Er muss dazu nur die Meisterschaft von Borussia Dortmund zurückerobern, er muss dazu nur das Pokalfinale gegen Borussia Dortmund gewinnen, er muss dazu nur die Königlichen aus Madrid vom Hofe jagen und schließlich dann nur noch das Champions-League-Finale im heimischen Stadion gewinnen. Alles machbar, alles denkbar, auch diese triumphale Allmacht. Aber eben auch vorstellbar, dass am Ende eine der größten Blamagen der Vereinsgeschichte steht: dreimal Zweiter, nein, das würde sich wirklich nicht gut lesen.

Es ist noch nicht lange her, da war die Lautstärke des Wehklagens schon zu ahnen gewesen. Damals, vor fünf Wochen, als Dortmund davon geeilt war, als das Aus im Pokal in Mönchengladbach drohte und in Basel die erste Hälfte des Achtelfinales verloren ging. Mit allen unschönen Begleitumständen, mit Mäkeleien am Trainer Jupp Heynckes, mit internen Machtspielchen, mit einer Münchner Boulevardpresse in Dauerhysterie. Man sah Uli Hoeneß, den Präsidenten, am Dienstagabend dann sehr erleichtert, dass sie diese Krise mit den fulminanten Siegen in allen drei Wettbewerben und der Qualifikation für das Halbfinale fürs Erste unterdrücken konnten. Aber ob sie überstanden ist?

Man mag das als Überinterpretation abtun, dass der Klub am Tage danach wohl die Huldigung des Volkes entgegennahm, ansonsten aber keiner Öffentlichkeitsarbeit mehr nachging. Man kann es aber auch so lesen: Wir haben jetzt nichts zu sagen, wir haben viel zu tun. Amen. Die Prozession der Fans schritt von dannen, als auch der letzte Spieler in der Kabine verschwunden war, ruhig, ehrfürchtig, gedankenverloren. Weil auch nach dem Sieg über Marseille immer noch nicht klar ist, ob das Bayern-Glas schon halb voll ist oder noch halb leer.

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