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Lacht wieder. Monique Angermüller siegt in Inzell über 1500 Meter. Foto: dpa

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Sport: Gelöst, aber nicht locker

Eisschnellläuferin Monique Angermüller litt lange unter einem Todesfall – jetzt geht es ihr besser

Nanuk darf man an den Ohren ziehen, das stört ihn nicht. Kinder trauen sich erst mal nicht in seine Nähe, aber Monique Angermüller sagt dann, es sei okay. Und irgendwann zupfen sie dann an den Ohren. Nanuk geht mit Monique Angermüller auch joggen. Wenn sie faul auf der Couch sitzt und eigentlich keine Lust zum Laufen hat, dann steht Nanuk da, macht ihr ein schlechtes Gewissen, und dann rennen sie los. Zu zweit, Nanuk oft voraus, er hat mehr Kondition.

Nanuk ist ein Huskie, 18 Monate alt, Monique Angermüller hat den Hund aus dem Tierheim.

„Er ist schon wie ein kleiner Trainingspartner“, sagt sie. Monique Angermüller erzählt viel von Nanuk, manchmal muss sie dabei lachen. Die 26-Jährige wirkt entspannt, als sie in einer Holzhütte sitzt, ein paar Meter von der Max-Aicher-Eishalle von Inzell entfernt, dort, wo an diesem Wochenende die deutschen Eisschnelllaufmeisterschaften stattfinden. Am Freitag holte sie immerhin Bronze über 500 Meter, die Strecken nimmt sie eigentlich nur zum Aufwärmen, gestern gewann sie über 1500 Meter den Titel, sie geht alles eher locker an. „Ich bin viel gelöster als in der vergangenen Saison“, sagt die 26-Jährige vom Eissportverein Berlin 08, „ich bin verletzungsfrei durch den Sommer gekommen.“ Nur einmal wird der Tonfall anders, die Lockerheit fehlt plötzlich. Das ist der Moment, an dem Monique Angermüller sagt: „An Weihnachten wird es natürlich schwierig.“

Ihre Oma wird nicht mehr mitfeiern. Sie ist gestorben im Alter von 68 Jahren, im Februar 2011, und dieser Tod ist der Grund dafür, dass der Aufstieg der Monique Angermüller in der vergangenen Saison unterbrochen wurde. Sie galt als die aufstrebende deutsche Frau auf den 1000 Metern, sie hatte 2009/2010 in Erfurt den Weltcup gewonnen und beim Weltcup in Calgary Platz drei belegt, aber bei der WM in Inzell im März, da belegte sie über 1000 Meter nur Rang elf. Die ganze Saison war schon eher schlecht verlaufen. „Aber wenn die Seele leidet“, sagt sie, „kann man keine Leistungen bringen.“ Es gab viele Beobachter, die sich wunderten, warum sie so überraschend schlecht lief. Verletzungen, hatte Monique Angermüller als Erklärung genannt.

Den wahren Grund sagte sie nicht, nur Insider kannten ihn. Jetzt hat sie Abstand gewonnen, jetzt redet sie. Die Oma, sagt Monique Angermüller, „war eine so selbstlose Frau“. Sie hatte sie geliebt. Die Krebsdiagnose der Ärzte im November 2010 war deshalb wie ein Schlag in den Magen. Es war genau zu Saisonbeginn, Monique Angermüller, durch Verletzungen sowieso gehandicapt, fühlte sich jetzt völlig aus der Bahn geworfen.

Irgendwie funktionierte sie auf dem Eis, sie lief ihre Wettkämpfe, sie qualifizierte sich für die WM in Inzell. Sport bedeutete Ablenkung, der Sport bedeutete aber auch eine enorme Verpflichtung. Denn die Oma, schon schwer erkrankt, sagte ihr immer: „Monique, du musst schnell laufen.“ Die Enkelin versprach es.

Die WM in Inzell stand bevor, eigentlich eine wunderschöne sportliche Plattform für Monique Angermüller. Aber der Sport diente in diesen Tagen nur dazu, den seelischen Zusammenbruch zu verhindern. „Ich war ganz froh für die Tage, an denen ich nicht dauern heulte“, sagt sie. Zwei Wochen vor der WM saß Monique Angermüller am Sterbebett der Oma. „Monique“, sagte die Todkranke, „du musst bei der WM laufen, schnell laufen.“

Den WM-Start absagen? Da sagt Monique Angermüller auf einmal energisch: „Auf gar keinen Fall. Die Oma wollte doch, dass ich laufe.“ Monique Angermüller war in Salt Lake City, als sie die Nachricht erhielt: Die Oma ist tot. Eine Woche vor WM-Beginn war die Beerdigung.

Und Monique Angermüller lief in Inzell ihre WM. Sie lief 1:17,33 Minuten über 1000 Meter, langsamer als sonst. „Aber unter diesen Umständen“, sagt sie, „war einfach nicht mehr zu erwarten.“

Jetzt darf man mehr von ihr erwarten, gestern gewann sie über 1500 Meter in 1:57,78 Minuten. Zwei Sekunden schneller als sie zuvor je auf einer europäischen Bahn gelaufen ist. „Diese Zeit ist mir so früh in der Saison fast unheimlich“, sagte sie. Doch die Lockerheit hat ihre Grenzen. Wieder dieser Schimmer in ihrem Blick. Dann sagt Monique Angermüller: „Ich heule ja jetzt noch regelmäßig.“

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