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Zuschauer im eigenen Finale. Die Duisburger Spieler Branimir Bajic und Filip Trojan üben sich unmittelbar nach Spielschluss in Vergangenheitsbewältigung. Foto: dpa

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Sport: Gelöst bis aufgelöst

Der pokalbesiegte MSV Duisburg verbringt eine letzte Nacht vor dem totalen Umbruch

Berlin - Die Kronleuchter hingen schwer und irgendwie traurig von der Decke im Ballroom des vornehmen Ritz-Carlton. Sie spendeten gedämpftes Licht. Es war weit nach Mitternacht, als die Mannschaft des MSV Duisburg, des unterlegenen Pokalfinalisten, hereinspazierte und von einem höflichen Applaus der honorigen Bankett-Gesellschaft umspült wurde. Die Tränen der Herrschaften waren längst getrocknet. „In unserer Kabine sind viele Tränen geflossen, auch aus meinen Augen“, hatte Milan Sasic, der Trainer, noch im Berliner Olympiastadion nach der 0:5-Niederlage gesagt.

Der 52-Jährige hatte ein sentimentales wie rührseliges Statement abgegeben, nachdem seine Mannschaft, der Zweitligist, dem Bundesligisten von Schalke 04 so hoffnungslos unterlegen war. Eine Viertelstunde vor dem Spielende, das Match war längst entschieden, hatte der Trainer sich „befreit von dieser Enttäuschung“. Er habe daran gedacht, „wie weit wir gekommen sind, und dieses Gefühl war stärker als das, zu verlieren“, sagte Sasic und fügte mit stockender Stimme hinzu: „Keiner wird diese Mannschaft als Verlierer bezeichnen.“

Irgendwann zwischen Vorspeise und Hauptgang aus Rotbarbe mit Fenchel-Ananasgemüse ergriff Hannelore Kraft das Wort. Die Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen soll früher mal eine passable Handballerin abgegeben haben, das aber zufälligerweise nur, weil die junge Hannelore seinerzeit keinen Fußballverein gefunden habe, der Mädchen aufnahm. Frau Kraft also sprach, dass der Sieg des FC Schalke 04 „etwas zu hoch ausgefallen“ sei, „aber wir als Nordrhein-Westfalen sind stolz auf den MSV“. Und wieder rührten sich viele Hände zum andächtigen Applaus.

„Man spricht wieder über den MSV“, sagte schließlich auch der Vorstandsvorsitzende des Duisburger Vereins, Dieter Steffen. Er weiß wie Milan Sasic, dass der Mannschaft in der anstehenden Sommerpause ein gewaltiger personeller Umbruch bevorsteht. Mindestens sieben Spieler werden den MSV verlassen. Darunter sind prominente Leihspieler wie Stefan Maierhofer (Wolverhampton) und Julian Koch (Borussia Dortmund), die zu ihren Stammvereinen zurückkehren werden. Auch der vom SC Freiburg ausgeliehene Ivica Banovic wird zum Bundesligisten zurückkehren. „Es tut mit leid, dass wir uns aus finanziellen Gründen von einigen Spielern trennen müssen“, sagte der Duisburger Sportdirektor Bruno Hübner. Und das, obwohl der Klub im abgelaufenen Pokalwettbewerb rund sechs Millionen Euro eingenommen hat.

Im Finale selbst habe man „keinen Applaus“ verdient gehabt, wie es Trainer Sasic sagte. „Der Applaus, den wir erhielten, war für das, was die Mannschaft bis hierhin geleistet hat.“ Zum vierten Male hatte der MSV ein Pokalendspiel (kein Sieg) erreicht. Allerdings noch nie als unterklassiger Verein wie jetzt. Das honorierte auch der Anhang. Zehn Minuten vor dem Spielende, es stand schon 0:5, intonierten die 20 000 mitgereisten MSV-Fans trotzig ihr Vereinslied. So viel Treue rührte wiederum die Schalke-Fans, die diese Haltung ihrerseits mit Applaus quittierten. So etwas sieht man nicht oft in Fußballstadien.

„Es ist nicht einfach, sich von einigen Spielern zu trennen. Aber wir müssen unsere Gefühle jetzt in den Griff kriegen“, sagte Sasic. Erneut sollen Leihspieler die Lücken schließen. So kommen vom Pokalsieger Vasileios Pliatsikas und vom SC Freiburg Zvonko Pamic. Vom FSV Frankfurt wurde Jürgen Gjasula ablösefrei verpflichtet und vom FC Energie Cottbus kommen Jiayi Shao und Emil Jula. „Ich bin überzeugt, dass wir es schaffen, auch in der neuen Saison erfolgreich Fußball spielen zu können“, sagte Sasic. Dann übernahmen Werner Hansch und Rolf Töpperwien, die durch die weitere Nacht führten. Dass die Landesmutter später zum Sieger weiterzog, nahm ihr hier keiner krumm, schließlich ist Schalke auch ein NRW-Gewächs.

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