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Sport: Gemeinsam sind sie stark

Eva-Maria Fitze und Rico Rex fanden sich in Zeiten der Krise – jetzt sind sie Deutsche Meister im Paarlauf

Oberstdorf. Sekunden vor Ende ihrer Kür fielen sich Rico Rex und Eva-Maria Fitze innig um den Hals. Das war noch Teil der Choreographie. Momente später drückten sie sich dann noch intensiver, vor allem aber noch viel gelöster gegeneinander. Sie waren gerade in Oberstdorf Deutsche Einskunstlauf-Meister im Paarlauf geworden.

Eine graue, große Stoffmaus flog aufs Eis, Eva-Maria Fitze verteilte Kusshändchen und Rico Rex strahlte noch mehr als seine Partnerin – schließlich war es sein erster Titel. Seit sieben Monaten erst laufen sie zusammen, aber dieser Punkt allein macht nicht die eigentliche Bedeutung dieses Sieges aus. Rico Rex und Eva-Maria Fitze aus Chemnitz hatten es allen Kritikern gezeigt, das ist entscheidend. Es waren zwar nur drei Paare am Start, aber genau deshalb wäre eine schlechte Leistung für die beiden umso bitterer geworden. Entsprechend erleichtert war Fitze: „Der ganze Druck fällt jetzt von mir ab.“

Der Druck, der schon am Freitag, beim Training, zu sehen war. An der Kleidung von Rico Rex: schwarzes Hemd, schwarze Hose, schwarze Schuhe. Man hätte das für ein Symbol halten können. Rex sagt: „Wir wissen, dass Oberstdorf unsere letzte Chance ist.“ Eva-Maria Fitze hatte wenigstens ein weißes T-Shirt an. Auch ein Symbol, wenn man so will. „Wir werden kämpfen und es allen zeigen“, sagte sie. „Wir wissen, was in uns steckt.“ Oberstdorf konnte für alles stehen: endgültiger Absturz oder Wiederkehr. Rico Rex aus Chemnitz hörte immer wieder, dass er nichts kann. Dass er zu steif als Paarläufer sei, dass er nie den großen Erfolg haben werde. Er ist ja schon 27. Und Fitze? Sie hat ihre ganz spezielle Vergangenheit. Zweifache Deutsche Einzel-Meisterin, 1997 und 1999, ein junger Star, zu schnell hochgeschrieben, vom Rummel überfordert, dann massiv an Magersucht erkrankt, Rückzug aus der Einzelkonkurrenz. „Ich hätte ein Jahr früher zum Paarlauf wechseln sollen“, sagte Fitze nach ihrem Triumph. Anfang 2002 führte Ingo Steuer das Paar zusammen.

Steuer, Weltmeister im Paarlauf von 1997, war der Trainer von Rex. Es war ein Experiment, er trainierte die beiden, alle mussten ein Risiko eingehen. Es gab keine Alternative. Ein kurzes Probetraining im Mai 2002, es klappte, die Harmonie war da. „Es war fast lustig“, sagt Rex.

Vor allem aber bauten sie sich gegenseitig auf, lösten die Probleme gemeinsam, das war entscheidend. Fitze zog von München nach Chemnitz, begleitet von Kommentaren, in denen ihr prophezeit wurde, dass das dortige Training für sie zu hart sei. Das waren die Kritiker und die Neider. Und weil die 20-Jährige jetzt keine Einzelläuferin mehr war, lernte sie Disziplin. „In München bin ich oft zu spät zum Training gekommen oder überhaupt nicht aufgetaucht“, sagt sie. „Meine damalige Trainerin hat sich extrem um mich bemüht. Mir tut es heute Leid, was ich ihr angetan habe.“ Rex, sieben Jahre älter, sagt: „Ich muss sie noch ein bisschen erziehen.“ In Chemnitz ist Fitze noch nie unentschuldigt zu spät zum Training gekommen.

Da spielt natürlich auch Steuer eine große Rolle. Er ist alles: Therapeut, Trainer, Kummerkastenonkel, harter Hund. „Wir sind ein Team“, sagt Rex, „wir sprechen alles an, alle Probleme, das hilft ungemein.“ Steuer hat die beiden aus ihrem Tief geholt, nachdem Rex und Fitze nach ihrem zweiten gemeinsamen Kampf Motivationsprobleme hatten. Bei der Trophée Lalique in Paris hatten die beiden nach einer anspruchsvollen Leistung Platz acht belegt. „Danach sackten wir irgendwie weg“, sagt Rex. Steuer verhinderte eine echte Krise. Er kann laut und extrem fordernd sein. „Ich brauche jemanden, der mich hart anpackt“, sagt Fitze.

Aber sie ist unverändert eine potenzielle Patientin. Eine Läuferin, die jemanden benötigt, der ihre Signale versteht und auf ihre Probleme eingehen kann. Sie ist jetzt 20, die akute Magersucht ist überwunden. „Aber die Krankheit hat man quasi lebenslang. Die Probleme, die dazu führen, sind nicht wirklich weg, sie können jederzeit wieder auftreten“, sagt Fitze. Sie wirkt nicht wirklich gefestigt. Ein Satz wie „Niederlagen sind menschlich, die nimmt man jetzt leichter“, hört sich abgeklärt an. Aber eigentlich ist der Satz gelogen. Denn Sekunden später sagt sie dann auch noch, „na ja, in der einzelnen Situation ist es nach wie vor wie ein Weltuntergang“. Aber sie darf dieses Gefühl nicht mehr ausleben. Nicht im Paarlauf. „Ich kann ja den Rico mit meiner Katastrophenstimmung nicht mit runterziehen.“ Am Samstag musste sie sich darüber keine Sorgen machen. Im Übrigen trugen bei ihrer Kür beide Schwarz, vielleicht war das ja auch ein Symbol. Dafür, dass es wirklich um alles oder nichts ging.

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