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Trauriger Champion. Snooker-Virtuose Ronnie O'Sullivan siegte beim German Masters in Berlin, wurde später zum vierten Mal Weltmeister und konnte sich doch nicht so recht freuen. Die neue Saison lässt der an Depressionen leidende Starspieler komplett aus.

© dapd

German Masters im Snooker: Ronnie O'Sullivan: Zwischen Genie und Wahnsinn

Er ist der Superstar der Snookerszene, die Fans lieben ihn wie keinen anderen. Aber Ronnie O'Sullivan ist auch immer für eine Überraschung gut, so wie bei seinem ersten Match der German Masters im Tempodrom.

Donnerstag, 15 Uhr, Tempodrom. Ronnie O'Sullivan betritt die Bühne bei den German Masters der Snookerprofis. Natürlich ist es die große Bühne, im Snooker bedeutet das: der Fernsehtisch. Vier weitere Spieltische sind versetzt drumherum angeordnet. An einem spielt der Weltranglistenerste Mark Selby. Aber der ist heute nur Nebenfigur. Im Mittelpunkt des Interesses steht nur einer: Ronnie O'Sullivan.

Der 36-jährige Engländer ist immer noch der Star der Szene, obwohl er längst nicht mehr der beste Spieler ist. Sein Erstrundengegner in Berlin ist Andrew Higginson, ebenfalls aus England, aber damit hören die Gemeinsamkeiten auch schon auf. Ein großes Turnier konnte Higginson in seiner Karriere noch nie gewinnen, O'Sullivan war allein dreimal Weltmeister. Doch an diesem Tag ist von einem Klassenunterschied nichts zu spüren. O'Sullivan locht zwar zu Beginn drei Kugeln, doch dann scheint er sich innerlich von diesem Turnier zu verabschieden.

Fast apathisch sitzt er in seinem Stuhl, starrt mit weit aufgerissenen Augen ins Leere. Zwischendurch kaut er an seinen Fingernägeln oder beißt sich auf die Lippen. Und wenn er denn doch mal an den Tisch darf, schleicht er fast lustlos zum Stoß. Schnell liegt O'Sullivan 0:3 nach Frames zurück. Erst im vierten Frame versenkt er mal wieder ein Ball. Die Zuschauer im Tempodrom quittieren es mit lautem Beifall und dem ein oder anderen "C'mon, Ronnie".

Aber zu diesem Zeitpunkt macht sich bei vielen Fans fast schon Ernüchterung breit. Ronnie scheint mal wieder einen dieser Tage zu haben, an denen sich seine Lust am Spiel in Grenzen hält. Immerhin, im 4. Frame läuft es etwas besser für den Publikumsliebling. Doch in dem Moment, wo er endlich in Fahrt zu kommen scheint, verzählen sich die Schiedsrichter und müssen erst einmal ihre Anzeigetafel neu sortieren. O'Sullivan spielt trotzdem weiter, verschießt den blauen Ball und verliert später auch den Frame.

Mit 0:4 geht es in die Pause, wer zuerst fünf Frames gewinnt, zieht in die nächste Runde ein. Kaum einer glaubt jetzt noch an ein Comeback des Superstars. Draußen auf den Fluren schütteln die Menschen den Kopf. "Sehr traurig" sei das, was Ronnie da abliefert. Doch vor einem Jahr, als Berlin erstmals nach 14 Jahren Pause wieder ein Weltranglistenturnier in Deutschland ausrichtete, war es noch trauriger. O'Sullivan sollte das große Zugpferd sein, doch im letzten Moment sagte er wegen einer plötzlichen Erkrankung ab. Viel schlimmer hätte er im letzten Februar mit Fieber auch nicht spielen können, scheinen einige Fans zu denken. Jedenfalls machen sie ziemlich betretene Gesichter.

Schafft O'Sullivan doch noch die Wende?

Nach knapp 15 Minuten geht das Spiel weiter. Der Applaus bei Wiederbeginn fällt deutlich verhaltener aus als noch zu Beginn, dafür sorgt Mark Selby am Nebentisch für den ein oder anderen Lacher. Aber O'Sullivan zeigt sich im fünften Frame verbessert. Er schießt ein Break von 88 Punkten und verkürzt. Im nächsten Durchgang führt Higginson aber schnell 63:0 und steht kurz vor dem Sieg. Doch was keiner mehr für möglich hält passiert: O'Sullivan fängt an zu kämpfen und gewinnt den Frame noch 67:63.

Plötzlich ist Leben in ihm und seinem Spiel. Mit kurzen, schnellen Schritten stürmt O'Sullivan jetzt regelrecht um den Tisch, wirkt auf einmal voll bei der Sache. Nach dem 3:4 tuscheln einige Zuschauer aufgeregt, kaum läuft das Spiel wieder, blicken sie wie gebannt in die Arena. Jung und Alt, Frau und Mann, Dick und Dünn: Sie alle werden Zeuge einer erstaunlichen Wende. O'Sullivan spielt zwar nicht überragend, aber er zeigt jetzt endlich Leidenschaft. Und das reicht am Ende gegen einen biederen Gegner, der im achten und finalen neunten Frame zwar seine Chancen hat, aber zu wissen scheint, welche Rolle er in diesem Drehbuch spielen soll. Nach 0:4 siegt Ronnie O'Sullivan doch noch 5:4. Die Fans feiern ihn, zumindest die, die noch da sind. Der Meister reckt den Daumen hoch zum Gruß.

Draußen steht der Rest der Ronnie-Anhänger. Vor dem Pressebereich warten sie mit Stift und Programmheft auf ein Autogramm. Dass er noch gewonnen hat, ist für die meisten kaum zu glauben. Es dauert seine Zeit, O'Sullivan nimmt anders als ein John Higgins am Mittwoch den Weg durch die Katakomben - und umgeht so die wartenden Fans. Statt drei Journalisten wie beim amtierenden Weltmeister Higgins oder bei Titelverteidiger Mark Williams ist es ein gutes Dutzend, das seine Fragen loswerden will. Doch Ronnie stört das grelle Licht und er setzt sich erstmal um. Dann antwortet er höflich, ohne wirklich etwas zu sagen. Der Gegner hätte gut gespielt, die Atmosphäre sei toll gewesen. Es sei schön, noch gewonnen zu haben.

Oben warten die Fans weiter, doch O'Sullivan lässt sie stehen und verschwindet durch den Hintereingang wieder in die Katakomben des Tempodroms. Am Freitag kehrt er wieder, zum Achtelfinale und wenn es gut läuft auch noch zum Viertelfinale. Und wird wieder im Mittelpunkt stehen.

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