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Überraschung im Flug. Mit dem neuen Ball läuft es noch lange nicht so rund wie die Spitzenspieler, hier Timo Boll, es gerne hätten.

© Imago/Contrast

German Open im Tischtennis: Der neue Ball und seine Launen

Sprunghaftes Plastik: Der neue Tischtennisball fordert die Spieler und macht den Sport athletischer.

Timo Boll kommt sich seit vielen Monaten vor wie beim Tennis. „Der Unterschied ist so groß, wie wenn du auf Rasen, Sand oder Hartplatz spielst“, sagt Deutschlands Tischtennis-Idol. Und das liegt nicht an den Tischen. Es liegt an 2,7 Gramm Plastik. „Ich trainiere immer eine Woche vor einem Spiel mit dem jeweiligen Ball, um mich daran zu gewöhnen“, sagt Boll. Aktuell gelingt ihm das noch nicht ganz: Nach einer Verletzung hat er sich bei den German Open in der Berliner Max-Schmeling-Halle noch nicht wieder ganz nach oben gespielt. Im Viertelfinale schied er gegen Vladimir Samsonov aus Weißrussland aus, ebenso wie Dimitrij Ovtcharov. Auch der Ball sprang nicht so, wie Boll es wünschte: „Es wird hier nicht mit dem qualitativ besten Ball gespielt.“

Dass die Unterschiede im Moment so groß sind, liegt an der jüngsten Umstellung im veränderungsfreudigen Tischtennis. Nachdem der Ball von 38 Millimeter Durchmesser auf 40 vergrößert und die Satzlänge von 21 auf 11 Punkten gestutzt wurde, hat es seit Juli 2014 den altbewährten Tischtennisball aus Zelluloid erwischt. Seither wird international mit dem sogenannten „Plastikball“ gespielt. „Das stimmt nicht ganz”, sagt Richard Prause, der Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes. „Zelluloid ist ja auch Plastik, also eigentlich mit dem Nicht-Zelluloid-Plastikball.“ Der Grund dahinter ist: Bei der Produktion der Zelluloid-Bälle entstehen einerseits giftige Gase. Andererseits ist Zelluloid leicht entflammbar. Der Transport der großteils in Asien produzierten Bälle musste daher als Gefahrguttransport ausgewiesen werden. Das war umständlich und teuer.

Der neue Ball besitzt diese negativen Eigenschaften nicht. Allerdings musste er erst entwickelt werden. Da es unzählige Plastikverbindungen gibt, tüftelt jeder Hersteller bis jetzt an seinem eigenen Ball. Viele Versuche, viele Qualitäten. Manche Bälle verspringen am Tisch oder werden ungenau aus dem Gummibelag katapultiert. „Du triffst den Ball richtig und hast ein gutes Gefühl“, sagt der 34 Jahre alte Timo Boll, „doch dann fliegt er anders als gedacht.“ Im Hochpräzisions-Sport Tischtennis, in dem der Ball bis zu 170 Kilometer pro Stunde beschleunigt werden kann, bewirkt jeder minimale Unterschied viel Arbeit im Training.

Dabei hat der neue Ball einen interessanten Nebeneffekt. Die Bälle verlieren schneller an Rotation und Geschwindigkeit. Dadurch sind sie leichter zu retournieren. Die Ballwechsel werden länger. „Gefühlt um einen Ball pro Ballwechsel“, behauptet Prause. Genau diesen Effekt hatte man sich mit der Vergrößerung des Balles vor 15 Jahren erhofft. Eingetreten ist er damals nicht, hauptsächlich weil die Schlägerbeläge schneller geworden sind.

Und beim neuen Ball? „Die Belastung ist höher, dadurch wird die Athletik noch wichtiger“, sagt Prause. Die Spieler müssen noch besser zum Ball stehen. Jede Nuance wird ausgelotet: Lauftechnik, Platzierung und Antizipation. Der neue Ball fordert das Spiel der Weltspitze heraus. Dennoch gibt Prause Entwarnung: „Tischtennis wird dadurch nicht neu erfunden.“ Die guten Spieler blieben gut, die weniger guten würden nicht besser. „Nur die Mitte, so von Weltranglistenplatz 40 bis 100 ist näher zusammengerückt.“

Boll macht das nichts aus. „Wenn der Ball gut ist, habe ich keine Probleme damit“, sagt er, grinst und ergänzt: „Das liegt vielleicht auch an meinem Talent.“

Jörg Petrasch

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