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Sport: German Open: Mit der Kraft eines Mannes

Dicke Freundinnen werden Martina Hingis und Amelie Mauresmo in diesem Leben vermutlich nicht mehr werden. Vor zwei Jahren hat Hingis einmal über Mauresmo gesagt, sie sei sowieso ein halber Mann.

Dicke Freundinnen werden Martina Hingis und Amelie Mauresmo in diesem Leben vermutlich nicht mehr werden. Vor zwei Jahren hat Hingis einmal über Mauresmo gesagt, sie sei sowieso ein halber Mann. Das war nicht unbedingt als Kompliment gedacht, auch wenn Mauresmo manchmal fast mit der Kraft eines Mannes Tennis spielt: An guten Tagen prügelt sie ihre Gegnerinnen einfach vom Platz. Gestern war ein guter Tag. Durch ein 3:6, 6:0 und 6:4 gegen Martina Hingis zog die Weltranglistenneunte aus Frankreich ins Finale der German Open ein. Dort trifft sie heute auf Jennifer Capriati aus den USA.

Für eher zierliche Spielerinnen wie Martina Hingis muss es schwer zu verkraften sein, wenn sie von bloßer Körpergewalt überrollt werden. Amelie Mauresmo wandelt über den Platz wie ein italienischer Gigolo auf der Strandpromenade in Rimini. Ihr Oberkörper verengt sich trichterförmig zu den Hüften hin. Eine in jeder Hinsicht imposante Erscheinung. "Ich werde niemals so stark sein wie sie", sagte Martina Hingis. "Aber ich glaube, dass man auch noch andere Fähigkeiten braucht." Technik zum Beispiel.

Zum Thema Online Spezial: Ladies German Open 2001 Doch so stark wie gestern hat Hingis ihre Gegnerin nie zuvor erlebt. "Sie hat gut gespielt, aber ich habe sie auch gut spielen lassen." Vor allem im zweiten Satz. Als Hingis 0:3 zurücklag, ließ sie die Sache einfach laufen. Sie wollte ihre Kraft sparen für den entscheidenden Durchgang. Es war vermutlich die falsche taktische Entscheidung. "Ich hätte nicht aufgeben sollen", sagte Hingis. Als der Satz beendet war, nahm sie eine Auszeit, verschwand in die Umkleidekabine, um sich umzuziehen - vielleicht auch, um ihre Gegnerin zu verunsichern. Mauresmo ließ sich nicht irritieren: "So ist das Spiel", sagte sie.

Die Französin steht bereits zum zweiten Mal in Berlin im Finale. 1998 verlor sie in zwei Sätzen gegen Conchita Martinez. Damals war sie als Nummer 65 der Welt erst über die Qualifikation ins Hauptfeld gelangt und im Endspiel Außenseiterin. Diesmal ist die Situation eine andere. Jennifer Capriati ist zwar fünf Plätze besser notiert als Mauresmo, doch allzu groß sind die Leistungsunterschiede in diesen Regionen nicht.

Egal wer ihre Endspielgegnerin sein werde, "ich gehe sehr zuversichtlich in dieses Spiel", sagte Capriati nach ihrem Erfolg im ersten Halbfinale des Tages, bei dem die Belgierin Justine Henin beim Stand von 2:6, 6:4, 2:1 wegen einer Knöchelverletzung aufgeben musste. Capriatis Selbstbewusstsein kommt nicht von ungefähr. Die Amerikanerin ist die erfolgreichste Spielerin dieses Jahres. Sie hat die Australian Open gewonnen. Gegen Amelie Mauresmo hat sie jedoch nie zuvor gespielt.

Auch gegen Justine Henin, die große Überraschung des Turniers, hatte Capriati niemals vorher antreten müssen. Ihr größtes sportliches Erlebnis, so hat die erst 18 Jahre alte Belgierin einmal zu Protokoll gegeben, war ein Spiel bei den French Open in Paris. Dort durfte die Belgierin 1999 ihr Zweitrundenmatch gegen Lindsay Davenport auf dem Centre Court bestreiten. Henin verlor in drei Sätzen und schied aus, doch weil es ihr erstes Grand-Slam-Turnier war, hat sie die Begegnung in guter Erinnerung behalten. Dass es für immer ihr größtes sportliches Erlebnis bleiben wird, ist nach den Ereignissen in dieser Woche unwahrscheinlich. Im Achtelfinale schaltete die Belgierin die Amerikanerin Venus Williams aus, und ihre Erfolgsgeschichte endete erst im Halbfinale - allerdings abrupt und schmerzhaft.

Beim Stand von 1:2 im entscheidenden Satz ihrer Partie gegen Jennifer Capriati knickte Henin mit dem rechten Knöchel um. Sie ließ sich behandeln, kehrte noch einmal auf den Platz zurück, musste aber nach zwei weiteren gespielten Bällen feststellen, dass es nicht gehen würde. Für Henin war es umso ärgerlicher, weil sie den Eindruck hatte, "dass ich hätte gewinnen können". Obwohl Capriati letztlich von der Verletzung ihrer Gegnerin profitierte, war es für die Weltranglistenvierte ein hartes Stück Arbeit. "Sie hat sehr gut gespielt", sagte die Siegerin über die Verliererin. Und glücklich sei sie über dieses Ende auch nicht. "Ich möchte richtig gewinnen", sagte Capriati. Manchmal kann man eben nicht alles haben.

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