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Sport: Gerücht um eine Bombe

Cupverteidiger Alinghi wird beschuldigt, mit einem Schwenkkiel zu segeln

Beim America’s Cup in Valencia geht es derzeit zu wie in Wimbledon bei Dauerregen: Mangels Wind hieß es auch gestern beim Louis Vuitton Cup der Herausforderer am dritten Tag in Folge: warten, warten, warten. Am Ende wurde wieder nicht gesegelt. Und weil keine Segelergebnisse zu analysieren sind, werden an Land die Gerüchte über „Geheimwaffen“ an Bord der 24 Meter langen High-Tech- Yachten zum Thema.

Der Schweizer Cupverteidiger Alinghi, der erst vom 23. Juni an gegen den Sieger der Ausscheidungsserie antreten muss, wird verdächtigt, eine schwenkbare Kielbombe einsetzen zu wollen. Ob der Einsatz eines solchen Schwenkkiels erlaubt ist oder nicht, wird derzeit heftig diskutiert. Er könnte jedenfalls den ohnehin schon haushoch überlegen erscheinenden Sieger von 2003 wirklich unschlagbar machen. Denn mit solch einem Kiel neigt sich das Boot beim Segeln nicht so sehr zur Seite und kann dadurch deutlich schneller fahren. Das ist auf modernsten Rennyachten inzwischen gang und gäbe, doch in der America’s-Cup-Klasse eigentlich verboten.

Das Reglement der bedeutendsten Segelregatta der Welt lässt am Unterwasserschiff nämlich nur zwei bewegliche Bauteile zu. Das sind üblicherweise das zum Steuern unverzichtbare Ruder und eine Trimmklappe an der Kielfinne, dem Verbindungsstück zwischen der Rumpfschale und der fast 20 Tonnen schweren Kielbombe aus Blei. Alles andere müsse laut der internationalen Interpretation Nummer 22 des Bauformelparagrafen 17.1 c „fixed“, also fixiert, sein. Wieder und wieder wurde der Technische Direktor der America’s-Cup-Klasse, Ken McAlpine, von hintersinnigen Bootskonstrukteuren und Halblaien gleichermaßen gefragt, wie fest denn nun „fixiert“ sei. Der stoische Ingenieur bemühte für seine Erklärung sogar das Advanced Oxford Dictionary, eine Art Brockhaus und Duden in einem für die englische Sprache. Fester ging’s danach nicht mehr.

Die Geheimnisse um den Kiel, vor allem um seine Form, gehören seit jeher zum America’s Cup wie die Reifenfrage zur Formel eins. Aus Angst vor den innovativen Neuseeländern segelte Cuplegende Dennis Conner (USA) einst ohne Kiel, nämlich mit einem Katamaran. Er gewann das ungleiche Duell nicht nur auf dem Wasser, sondern auch anschließend in endlosen Gerichtsverhandlungen.

Als der Australier Alan Bond 1983 erstmals den US-Amerikanern den als Silberkanne bezeichneten America’s Cup abjagte, bekam das Thema Hochkonjunktur. Denn die Australier verblüfften ihren Gegner und die Fachwelt damals mit einem völlig neuartigen Flügelkiel. Fortan konzentrierten sich die Designer noch mehr auf das Teil, das einen America’s Cupper erst so hoch und schnell am Wind segeln lässt. Jahrelang wurden die Kielkonstruktionen bis zuletzt mit Umhängen verhüllt, wenn die Boote aus dem Wasser gekrant wurden, um ja nicht zu verraten, was da unter dem Bootskörper hing. Das änderte sich dank des neuen Regelwerks am 1. April dieses Jahres, als alle am 32. America’s Cup beteiligten Syndikate ihre Schiffe frei vorführen mussten. Allzu Bahnbrechendes gab es dabei nicht zu sehen, nur lange und dünne sowie kurze und dicke Kielbomben, zwei unterschiedliche, aber bekannte aquadynamische Philosophien.

Allerdings beobachteten Scharfaugen, dass Alinghis Neubauten sogleich nach der Schau wieder in der Werfthalle des Basislagers verschwanden. Wurde die neueste Yacht mit der Baunummer 100 schon in der gleichen Nacht auf einen Schwenkkiel modifiziert? „Wir werden genauso penibel kontrolliert wie alle anderen und machen auch nur das, was erlaubt ist – natürlich nur das Beste“, sagt Alinghi-Sportdirektor Jochen Schümann mit einem Lächeln. Und sein Chefdesigner Rolf Vrolijk aus Hamburg ergänzt: „Es ist gut, wenn sich alle darauf stürzen. Das lenkt ab, und wir können uns in Ruhe auf das Wesentliche konzentrieren.“ Ob ihr Kiel nun schwenkbar ist oder nicht, verrieten beide nicht. Das Gerücht darf weiter kursieren. Vielleicht ist es auch nur Seemannsgarn.

Andreas Kling[Valencia]

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