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Sport: Geschäft geht vor Zensur

Wie der Sport Chinas Verhältnis zum Westen auflockert

Peking. Zum Fußball haben die Chinesen eine merkwürdige Beziehung. Keine Sportart lieben sie so sehr: Ein Milliardenvolk fieberte vergangenen Sommer vor den Fernsehern mit, als das Nationalteam seinen ersten Aufritt bei einer Weltmeisterschaft hatte. Dabei ist China in keiner Sportart so erfolglos. Bei der WM flog man torlos raus, die lokale Fußballliga hat das Niveau der deutschen Regionalliga. Chinas Medien suchen ihre Erfolgsnachrichten deshalb im Ausland. Zum Beispiel in München-Giesing: Seit Shao Jiayi bei 1860 sein Geld verdient, ist der 22-Jährige in seiner Heimat ein Held.

Nach seinem Auftaktspiel im 1860-Trikot war Shaos Foto auf den Titelseiten der Pekinger Morgenzeitungen. Der Staatssender CCTV übertrug das Spiel der Münchner gegen Hannover 96 live. Sportzeitungen wie die „Zuqiubao“ („Fußballzeitung“) und „Titanzhoubao“ („Sportwoche“) drucken täglich mehrere Berichte über das Training bei 1860. Manche Reporter haben sich auf Shaos Familie in Peking gestürzt. „Wir sind so zufrieden, dass wir einen solchen Sohn haben dürfen“, zitieren sie den Vater. Sina.com, das größte Webportal Chinas, berichtete über eine Anekdote bei der Geburt Shaos. Weil eine Krankenschwester beim Ausfüllen der Formulare einen Fehler machte, steht in Shaos Geburtsurkunde der 10. statt 9. April. Sein Vater gab seinen Sohn deshalb den Vornamen Jiayi – auf Chinesisch „plus Eins“.

Das große Interesse an „Chinas Beckham“, wie die Zeitungen Shao nennen, ist neu für diesen. Zwar behauptet 1860-Geschäftsführer Karl-Heinz Wildmoser junior: „Der Mann ist bekannt wie Michael Jackson in seinen besten Zeiten.“ Tatsächlich aber war Shao in China nur wenigen Fußballfans ein Begriff. Sein Transfer in der Bundesliga, der vierte eines Chinesen, gilt als Erfolg. Sport ist eines der wenigen Gebiete, das nicht vom Staat zensiert wird. Auf dem sich Zeitungen und Zeitschriften einen heftigen und teilweise skurrilen Wettbewerb liefern. Als der Jugoslawe Bora Milutinovic Trainer der chinesischen Nationalmannschaft wurde, schickten die Sportzeitungen hübsche junge Frauen mit serbokroatischen Sprachkenntnissen an den Spielfeldrand, um Interviews zu bekommen. Am erfolgreichsten war die Reporterin Li Xiang von der „Sportzeitung“. Li hat mittlerweile zwei Bücher veröffentlicht, das letzte mit dem Titel „Mein Schicksal ist an Milu geknüpft“.

Sport ist auch in China ein Geschäft, das von Stars lebt. Die Turmspringerin Fu Mingxia, die bei der Olympiade 1992 vier Goldmedaillen holte, verdient mit Werbung für Sprite und andere Firmen sieben Millionen Yuan im Jahr (770 000 Euro). Tischtennismeister Kong Linghui lässt sich für Mineralwasser und Turnschuhe fotografieren, die frühere Turnerin Liu Xuan setzt auf Shampoo, Tampons und Wein. Die US-Basketball-Liga NBA hofft darauf, mit Spielern aus der Volksrepublik den chinesischen Markt zu erobern. Als Yao Ming im Oktober sein Debüt für die Houston Rockets hatte, verfolgten 287 Millionen chinesische Familien das Spiel vor dem Fernseher – dreimal so viele wie die Gesamtzahl der Fernsehhaushalte in den USA überhaupt. NBA-Turnschuhe sind in China seitdem ein Verkaufsschlager.

Bei 1860 und bei anderen europäischen Clubs hoffen sie auf ähnliche Effekte. Als Shao Jiayi nach München wechselte, brachte er seine chinesischen Sponsoren gleich mit. Die Motorradfirma Xinyuan zahlt 450 000 Euro für den Werbeauftritt bei 1860. Der deutsche Motorradmarkt sei zwar klein, sagte Xinyuan-Chef Gong Daxing. Die Firma aus der Industriemetropole Chongqing (15 Millionen Bewohner) hofft jedoch auf die steigende Popularität von Shao in China. Borussia Dortmund will in Shanghai einen Fanartikel-Shop eröffnen. Am größten ist das China-Fieber beim britischen Klub FC Everton. Dort prangen seit kurzem die chinesischen Schriftzeichen Ke Jian auf den Spielertrikots. Es ist der Name eines Handyherstellers. Doch die Werbung ist nicht für die Briten gedacht, sondern für die chinesischen Fans, die die Spiele am Fernseher verfolgen.

Harald Maas

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