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Sport: Gespielte Normalität

Warum deutsche Fußballer 1942 in Bratislava antraten

Sportlich hatte das Fußball-Länderspiel in Bratislava keinen Wert. Welchen Sinn die Partie zwischen der Slowakei und Deutschland am 22. November 1942 hatte, zeigte ein Bericht der „Deutschen Sport-Illustrierten“. Ernst Nebhut kommentierte dort: „Der Sport in diesem zweiten großen Krieg der Welt zeigt keinerlei Erstarrung.“ Die Nationalsozialisten wollten Normalität vorspiegeln; der Sport ließ sich benutzen.

Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges am 1. September 1939 hatte Sepp Herberger, der damalige Reichs- und spätere Bundestrainer, nicht an weitere Spiele geglaubt. Doch es sollte weitergehen. Die Zahl der Gegner war begrenzt – auf verbündete Staaten wie Ungarn, Kroatien und Rumänien sowie neutrale Nationen wie die Schweiz oder Schweden. Zu den Vasallenstaaten von Hitlers Gnaden gehörte die Slowakei, die 1938 die Tschechoslowakei verlassen hatte. Die junge Nation lieferte seit 1941 Soldaten für den Krieg gegen die Sowjetunion.

Die Zerschlagung des Landes bedeutete das vorläufige Ende des tschechoslowakischen Fußballs, der Erfolge als WM-Zweiter 1934 und WM-Viertelfinalist 1938 gefeiert hatte. Fünf Tage vor Kriegsbeginn hatte die Slowakei erstmals gegen Deutschland gespielt und 2:0 gewonnen. Damals kam nur eine B-Mannschaft nach Bratislava. Am selben Tag sollten Deutschlands beste Spieler in Stockholm auflaufen. Die Partie fand aber wegen des drohenden Krieges nicht statt.

Vor dem Spiel 1942 galt die Slowakei in der deutschen Sportpresse als „Sparringspartner“. Ihre Fußballer kamen vor allem von SK Bratislava und der Armee. Reichstrainer Herberger hatte für den so genannten „Kriegsländerkampf“ das bestmögliche Team aufgeboten. Die deutsche Presse pries die angebliche Freundschaft beider Länder. „Das kleine Volk ist stolz darauf, dass seine tapferen Söhne mit uns im Kampf gegen den Bolschewismus standen und stehen“, hieß es. Die Deportationen der slowakischen Juden hatten im März des Jahres begonnen; 68000 bis 71000 Menschen wurden ermordet.

An der Donau gab es kein freundliches Willkommen. Verklausuliert berichtete die „Sport-Illustrierte“ über „sonst nicht gewohnte Temperamentsausbrüche“. Herberger beschrieb das Publikum als undiszipliniert. Noch mehr verraten die Erinnerungen des damals 22-jährigen Fritz Walter: „Der wachsende Hass gegen das nationalsozialistische Deutschland wirkte sich aus. Die 12000 Zuschauer umgaben uns mit einer Mauer der Feindseligkeit. Bei der üblichen Gedenkminute für die Gefallenen brodelte es und murmelte es auf den Rängen des Preßburger Stadions.“ Das Spiel endete 5:2, es war statistisch der 100. deutsche Länderspiel-Erfolg. Doch nach dem Abpfiff wurde kaum gefeiert. Fritz Walter berichtete: „Wir sahen zu, dass wir schnell in die Kabine kamen.“ Es war das letzte Spiel einer deutschen Nationalelf im Krieg.

Spieler des Tages war der 22 Jahre alte Linksaußen August Klingler vom badischen Gauklasse-Klub FV Daxlanden aus Karlsruhe. Der kleine Stürmer erzielte in Bratislava drei Tore, eines bereitete er vor. Nach Kriegsende galt Klingler lange als vermisst. Recherchen von Herberger ergaben, dass er 1943 als Soldat in Kroatien umgekommen war.

Aus jener Elf, die 1942 gegen die Slowakei antrat, kehrten 1950 lediglich Andreas Kupfer von Schweinfurt 05 und Fritz Walter in die Nationalmannschaft zurück. Der Ersatztorhüter Toni Turek aus Duisburg wurde 1954 einer der „Helden von Bern“. In der Mannschaft spiegelten sich Schicksale des Krieges. Hans Rohde, der Stopper, kam bis 1949 in sowjetische Gefangenschaft. Der Fürther Hans Fiederer verlor im August 1942 bei einem Anschlag der französischen Resistance in Paris das rechte Bein. Und schon kurz nach dem Spiel war in deutschen Zeitungen zu lesen: „Wieder hat der deutsche Fußballsport einen seiner Besten hergeben müssen.“ Mittelstürmer Albin Liefen, 21 Jahre jung, als „größtes Talent des Niederrheins“ von Herberger geschätzt, war als Soldat umgekommen.

Werner Skrentny

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