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© AFP

Gespräch: Matthias Steiner: "Man versucht, die Wut umzulenken"

Goldmedaillengewinner Matthias Steiner spricht über den Tod seiner Frau, über seine Pläne und über die Motivation, schwere Gewichte zu heben.

Herr Steiner, wie viele Liter Bier passen eigentlich in einen 145,9 Kilogramm schweren Körper?

Ich bin noch gar nicht zum Biertrinken gekommen, mir schmeckt’s auch nicht so. Die Fototermine waren einfach zu viel. Das richtige Feiern kommt noch.

Vielleicht mit dem Olympia-Wein aus Ihrem österreichischen Heimatort Obersulz?

Das ist ein Blauburgunder-Verschnitt mit dem Namen Linan, das heißt starker Mann auf Chinesisch. Bundestrainer Frank Mantek wollte 200 Flaschen abnehmen, aber ich glaube, wir werden das nun stark erhöhen.

Wie geht es Ihnen jetzt körperlich, Sie haben bei ihrem Olympiasieg im Superschwergewicht so viel wie nie zuvor in einem Wettbewerb gehoben – insgesamt 461 Kilogramm?

Langsam kommen die Schmerzen, so etwas geht nicht spurlos am Körper vorbei. Kleinere Blessuren sind da, Muskelverhärtungen auch, das Knie ist leicht entzündet. Aber ich habe jetzt Zeit, mich auszukurieren. Es tut aber mehr der Hals weh vom Reden und Schreien.

Warum haben Sie gestern fast gar nicht mehr aufgehört zu schreien?

Da fällt einfach so viel Ballast ab. Und wenn man gar nichts macht, ist es auch langweilig.

Haben Sie sich auch wegen Ihrer Krankheit Diabetes beim Trinken zurückgehalten?

Wenn man sonst nicht so viel Alkohol trinkt, kann man auch mit Diabetes mal über die Stränge schlagen. Aber im Gewichtheben ist es nicht einfach mit so einer Krankheit, es ist eine Schnellkraftsportart, da braucht man eine unheimliche schnelle Reaktion. Sollte der Zucker zu hoch sein, wird das Blut dicker und die Reaktion zu langsam. Wenn er zu niedrig ist, habe ich gar keine Kontrolle über den Körper. Ich muss den Zucker optimal eingestellt haben, sonst ist der Wettkampf gelaufen.

Wie halten Sie Ihr Gewicht?

Ich habe die Veranlagung, relativ gut zuzunehmen, andere müssen sich zwingen, viel zu essen. Ich esse so viel wie möglich, aber keinen Schweinsbraten, allein Fett essen wäre schlecht. Ich esse alles quer durch den Gemüsegarten. Keine große Mahlzeiten, eher kleine, so sechs oder sieben am Tag.

Was ist für Sie eine kleine Mahlzeit?

Drei Steaks und ein paar Kartoffeln, Salat und Obst. Ich esse halt ständig, es ist immer etwas im Kühlschrank. In einer trainingsintensiven Vorbereitung esse ich 8000 Kalorien, sonst eher 6000. Und ich trinke sechs bis acht Liter pro Tag.

Müssen Sie Ihre gewaltige Kraft auch im Privatleben einsetzen?

Als ich als Installateur ausgebildet wurde, war ich der Dumme. Ich musste die Gasflaschen schleppen. Vor zwei Jahren habe ich einem Freund beim Holzhausbau geholfen, da ist es klar, dass man die größeren Trümmer trägt. Ich kann damit leben, die Kraft ist da.

Aber so stark wie gestern waren Sie noch nie. Hat auch der Tod Ihrer Frau diese gewaltige Kraft freigesetzt?

Das hat sicher eine große Auswirkung gehabt. Was soll man im Leben noch verlieren können? Was ich verloren habe, war das Wertvollste. Wertvoller als jede Goldmedaille. Wenn man auf die Bühne steigt, geht man mit einem Gleichgültigkeitsgefühl hoch. Man versucht, diese Wut umzulenken in Aggression und Motivation. Ich muss versuchen, dass der Sport davon profitiert. Klingt blöd, aber ist so.

Treibt Sie auch der Tod Ihrer Frau an?

Das Thema wird mich immer verfolgen, mit Sicherheit. Es kommen die Momente, wo man verzweifelt und sich die Frau herbeisehnt. Solche Motivationsschübe werden immer wieder kommen. Aber das ist nicht steuerbar.

Wie geht es weiter?

Es kommen wieder Olympische Spiele in vier Jahren. Die Vorbereitung beginnt jetzt, ich bin nicht nach Deutschland gewechselt, um nur einmal an den Start zu gehen. Ich bin Europameister, Weltmeister will ich auch werden. Es gibt genug zu tun.

Wieviel Österreich steckt in dieser Medaille?

Es wurde ein Grundstein in Österreich gelegt, in Deutschland kam der Feinschliff. Aber ohne Bundestrainer Frank Mantek und die explizite Technikarbeit, die er gemacht hat, wäre ich jetzt nicht hier.

Werden Sie jetzt von der Medaille auch leben können?

Gestern haben sich schon einige Manager und Sponsoren bei meinem Trainer gemeldet. Aber ich habe ja auch ohne Olympiasieg gut leben können. Ich mache Gewichtheben nicht wegen des Geldes, aber ich muss mir schon Gedanken machen, wie es nach London 2012 weitergehen wird beruflich. Als Installateur will ich nicht mehr arbeiten. Ich werde mich mal mit der Sporthilfe zusammensetzen, die bieten Weiterbildungen an. Was mich unheimlich reizen würde, wäre etwas mit Sprachen. Spanisch, ist eine Weltsprache. Oder Italienisch.

Und wie steht es um die Zukunft der Dopingsportart Gewichtheben?

Es ist besser geworden, man sieht es an den Leistungen, die runter gegangen sind. Das ist ein Zeichen, dass die Dopingkontrollen greifen. Es wird auch in kaum einer anderen Sportart so viel kontrolliert. Ich glaube nicht, dass man das Gewichtheben hundertprozentig sauber bekommt, aber das ist in keiner Sportart so.

Wie groß ist die Verlockung für Sie, Dopingmittel zu nehmen?`

Ich hatte das Glück, bis zum heutigen Tag kein Angebot bekommen zu haben. Es gibt in Österreich und Deutschland vereinzelt Athleten auf Bezirksniveau, die damit in Kontakt kommen. Das ist im Hobbysport so, wo man nicht so viele Mühen auf sich nimmt wie im Leistungssport. Oder mit 15 oder 16 Jahren, wenn man ein bisschen verrückt ist und schon mal einen Joint raucht, ist das auch gefährlich. In Fitnessstudios kommt man aber leichter ran als in der Gewichtheberhalle.

Aber die große Anzahl gedopter Gewichtheber spricht doch eine deutliche Sprache?

Die Kontrollen auch. Man muss auch die Hintergründe ansehen, nicht nur die positiven Fälle. Wenn in Kolumbien oder sonstwo ein positiver Fall auftaucht, muss man sehen, wer dort der Trainer ist. Wenn es ein Bulgare ist, zählt man eins und eins zusammen. Dort geht alles ganz schnell, bei uns ist das jahrelange Arbeit. Es hat für uns vier Jahre gedauert, um Gold zu holen. Und wann gab es den letzten positiven Dopingfall im deutschen Gewichtheben? Das muss weit über 20 Jahre her gewesen sein, ich weiß es nicht. Gab es überhaupt schon einen positiven Fall? Also, es geht auch sauber.

Aufgezeichnet von Benedikt Voigt.

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