zum Hauptinhalt
Und niemand wusste von den Schmerzen. Jonas Reckermann hatte schon während Olympia große körperliche Probleme. Aus Furcht vor irreversiblen Schäden hört er jetzt auf. Foto: AFP

© AFP

Sport: Gesundheit geht vor

Ein halbes Jahr nach dem Olympiasieg beendet Beachvolleyballer Jonas Reckermann seine Karriere.

Der Blick geht zurück nach London auf den in Flutlicht getauchten Platz der Horse Guards Parade. Wie die Fans ausrasten, nachdem der letzte Angriffsball der Brasilianer neben der Linie gelandet ist, und wie zwei Deutsche beginnen, einen bizarren Tanz im Sand aufzuführen, um dann jubelnd übereinander herzufallen. Millionen Zuschauer haben das Spektakel am Bildschirm verfolgt und dabei ihr Herz für Beachvolleyball entdeckt, eine Sportart, die hierzulande zuvor allenfalls eine Randerscheinung war. Nicht einmal ein halbes Jahr ist es her, dass Julius Brink und Jonas Reckermann bei den Olympischen Spielen Gold holten, und doch ist der größte Erfolg im deutschen Volleyball inzwischen Geschichte. Das Duo gibt es nicht mehr. Reckermann hat jetzt etwas überraschend seine Karriere beendet. „Es tut weh“, sagt der 33-Jährige, „denn mir wird bewusst, dass eine große Zeit zu Ende geht.“ Dennoch muss es sein, „diese Entscheidung ist alternativlos“. Weil sie der Gesundheit geschuldet ist, „und die werde ich nicht aufs Spiel setzen“.

Seit Jahren plagt sich der lange Blockspieler mit diversen Verletzungen, nun hat sich die Situation so zugespitzt, dass es keinen Ausweg mehr gibt. Dieses Mal ist es nicht die Schulter, die Reckermann im vergangenen Jahr beinahe den Olympiastart gekostet hätte. Die befindet sich nach einer Operation Anfang Oktober auf dem Weg der Besserung. Dafür zwingen Rückenprobleme Reckermann zum Karriereende. „MRT-Untersuchungen Ende Dezember zeigten neben einem bekannten, aber nun weiter fortgeschrittenen degenerativen Prozess an der Wirbelsäule eine Zyste im Rückenmarkskanal, welche auf einen Nerv der Lendenwirbelsäule drückt“, heißt es in einer Pressemitteilung, die das Duo gestern verbreitete.

Bereits 2006 musste der in Köln lebende Athlet ein Jahr wegen Rückenbeschwerden aussetzen, diesmal gibt es keinen Weg zurück. Zitiert wird der Düsseldorfer Sportmediziner und ehemalige Volleyball-Nationalspieler Antonius Kass: „Bei Beibehaltung der bisherigen Trainings- und Turnierintensität käme es zu einem Fortschreiten der irreversiblen Schädigung.“ Weil Reckermann das nicht riskieren will, zieht er jetzt den Schlussstrich. In die mehrere Wochen dauernde Entscheidung waren Brink und das Trainerteam eng eingebunden, es sei so abgelaufen, „wie wir Jonas kennen“, berichtet Brink: „Ehrlich, geradlinig und ohne Schnörkel.“ Brink spricht von Wehmut und Trauer, „weil eine unglaubliche Partnerschaft zu Ende geht, die uns immer verbinden wird. Auf dem Niveau zu spielen, wie es Jonas und ich geschafft haben, das ist das pure Glück.“

Tatsächlich schrieben Brink/Reckermann während ihrer vierjährigen Liaison eine Erfolgsgeschichte, die ihresgleichen sucht: Dreimal waren sie Deutscher Meister, zweimal Europameister, zudem gewannen sie in Stavanger als erstes europäisches Team in einer Sportart, die traditionell von nordamerikanischen und brasilianischen Teams dominiert wird, den WM-Titel. Der alles überstrahlende Triumph aber ist das Olympia-Gold von London, ebenfalls ein historisches Ereignis.

Der begnadete Blocker Reckermann spielte überragend – und war doch schon nicht mehr auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft. Reckermann spricht über das letzte Jahr seiner außergewöhnlichen Karriere von einem Drahtseilakt, weil das Ringen um die Fitness zu einem ewigen Kampf geworden war: „Wir haben das zwar nicht an die große Glocke gehängt, aber ich war während der Wochen in London vermutlich jeden Tag länger beim Physio als im Sand.“

Diese Qual ist nun beendet, zu einem Zeitpunkt, an dem es ruhig noch ein wenig hätte weitergehen dürfen. Schließlich böte diese Saison die Chance, den frischen Olympia-Ruhm zu versilbern. Obwohl es dazu nicht kommen wird, spricht Julius Brink von einem „perfekten Ausstieg für Jonas“. Was sich paradox anhört, erläutert der Abwehrspieler so: „Jonas hört auf dem Zenit auf, das halte ich für ein Riesenprivileg, auch wenn er zu dieser Entscheidung gezwungen wird.“

Der 30-jährige Brink wird seine Karriere nun mit Sebastian Fuchs, 26, fortsetzen und versuchen, 2016 erneut bei Olympia zu glänzen. Währenddessen will Reckermann erst einmal „links und rechts schauen“ und die neu gewonnene Freiheit mit seiner Frau Katja und dem Mitte November geborenen Sohn Emil genießen. Seinem Freund Julius Brink rät er, „mit seinem neuen Partner richtig Gas zu geben und nach Möglichkeit in Rio die Goldmedaille zu verteidigen. Das würde mich unheimlich stolz machen“. Reckermann soll eine noch näher zu definierende Rolle im neuen Team übernehmen und hat auch sonst noch einige berufliche Alternativen im Hinterkopf. Ein Schicksal, betont der in Rheine geborene Münsterländer, drohe ihm auf gar keinen Fall: „Ich werde mit Sicherheit nicht dauerhaft in Depressionen versinken.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false