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Krawall am Ball. Beim heutigen Heimspiel von Hansa Rostock dürfen keine Zuschauer ins Stadion.

© picture alliance / INSIDE-PICTUR

Gewalt im Fußball: Randalierer in Fußballstadien werden immer radikaler

Wenn Hansa Rostock heute Dynamo Dresden empfängt, werden keine Zuschauer da sein. Schuld sind gewalttätige Fan-Ausschreitungen bei früheren Spielen. Wer dabei nicht mitmacht, wird oft bedroht.

Die Liebe zum FC Hansa Rostock endete mit zersplittertem Glas. Als Frederik eines Nachmittags vom Einkaufen zurückkehrte, bekam er einen Schreck. Beide Spiegel an seinem Auto waren abgetreten, Scherben lagen auf dem Boden. Passanten glotzten, niemand wollte etwas gesehen haben an diesem Tag in der Rostocker Innenstadt. Zufall? „Eher nicht“, sagt Frederik.

Bis dahin gehörte seine ganze Leidenschaft dem FC Hansa, wenige Tage zuvor war er mit dem Klub noch zu einem Auswärtsspiel gereist. Nach Spielschluss sprach er kurz mit einem gegnerischen Fan. Nichts von Bedeutung, Smalltalk eben. Einigen aber muss die Unterhaltung missfallen haben, Frederik glaubt bis heute, dass das der Grund für die abgetretenen Spiegel war. Fansein war vor anderthalb Jahren nicht ganz ungefährlich in der größten Stadt Mecklenburg-Vorpommerns. Selbst wenn man zu Hansa hielt.

Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (ZIS) zählt die gewaltbereite Szene von Hansa Rostock zu den gefährlichsten in Deutschland. Demnach werden 130 Personen als „gewaltbereit“ und 390 als „gewaltgeneigt“ eingestuft. Am heutigen Sonntag, wenn Hansa im eigenen Stadion Dynamo Dresden zum einem Spiel in der Zweiten Liga empfängt, werden keine Zuschauer zugelassen sein. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat dem Verein ein Spiel vor leeren Rängen verordnet als Strafe, weil es am 19. November rund um das Duell mit dem FC St. Pauli zu schweren Ausschreitungen gekommen war. Damals hatten Hansa-Fans mit Leuchtraketen auf Zuschauer aus Hamburg geschossen und versucht, in den Gästeblock einzudringen. Das ist in deutschen Stadien verboten, und weil Hansas Fans Wiederholungstäter sind, gibt es jetzt ein sogenanntes „Geisterspiel“.

„Die Polizei hat Glück, dass die Strafe ausgerechnet vor dem Spiel gegen Dynamo ausgesprochen wurde“, sagt Frederik, der eigentlich anders heißt und seinen richtigen Namen nicht nennen will. Auch sein Alter soll geheim bleiben, „irgendwas zwischen 21 und 25“. Frederik musste lange mit sich ringen, um zu diesem Gespräch in der Innenstadt zu erscheinen. Am Ende hat er es getan, „weil ich wahrscheinlich nicht der Einzige bin, der die Szene irgendwann als zu krass empfand“. Frederik spricht ruhig, seine Worte wählt er mit Bedacht. Manchmal schweifen seine dunklen Augen hinüber zu den Nachbartischen. Ob ihn jemand aus der Szene erkennt? Eher nicht, in dem Café in einer schmalen Seitenstraße haben sich vornehmlich Rentner eingefunden.

Rostock und Dresden sind Erzrivalen beim Fußball, in der Vergangenheit kam es bei Spielen gegeneinander oft zu Ausschreitungen. Dresdens Fans werden wie die Rostocker von der ZIS als sehr gefährlich eingestuft. Nachdem sie im Oktober in Dortmund randaliert hatten, schloss der DFB Dynamo für die kommende Saison vom DFB-Pokal aus. „Dresden und St. Pauli sind die krassesten Spiele, wer da ins Stadion geht, ist selber schuld“, sagt Frederik. Es gab einmal eine Zeit, da dachte er anders, obwohl es vor drei, vier Jahren schon genauso gefährlich war, ein Spiel zwischen Hansa und seinen Rivalen zu besuchen. „Ich war immer dabei, egal wie der Gegner hieß, egal wohin es ging“, erzählt er. Einmal ist er von Rostock an einem Montag acht Stunden nach Karlsruhe gefahren. Den Fans dort wird auch ein erhöhtes Gewaltpotenzial zugeschrieben, genau wie den Anhängern von Eintracht Frankfurt. Gewalt und Randale rund um Fußballspiele sind kein reines Ost-Phänomen. Passiert ist an diesem Tag in Karlsruhe aber nichts, Frederik hat sich mit seinen Freunden das Spiel angesehen und ist am gleichen Abend wieder zurückgefahren. Als Soldat bei der Bundeswehr musste er am nächsten Tag wieder Dienst schieben. Wenn Hansa ein Heimspiel hatte, stand Frederik in der Südkurve, dort, wo die lautesten Fans stehen, die „Ultras“. Laut dem Fanforscher Gunter Pilz sind das Leute, die ihr Team unterstützen und durch Choreografien für Stimmung im Stadion sorgen. Jedoch verschwamm in der Vergangenheit der Begriff immer mehr, inzwischen werden Ultras in der öffentlichen Wahrnehmung oft mit Randalierern gleichgesetzt.

Die Jungs fingen an, Pläne zu schmieden, wie man am besten eine Schlägerei anzetteln könnte.

Frederik hat sich nie als richtigen Ultra gesehen, was letztendlich wohl auch dazu führte, dass es zum Bruch zwischen ihm und den Leuten aus der Kurve kam. „Ich hatte irgendwann das Gefühl, dass es vielen nicht mehr um Fußball ging, sondern andere Dinge wichtiger waren.“ Das Hereinschmuggeln von Feuerwerkskörpern etwa oder das Dichten von Liedern, bei denen es lediglich um das Verunglimpfen des Gegners ging. Damit hatte Frederik noch weniger Probleme, aber als Leute, die er kannte, sich damit zu beschäftigen begannen, wie man am besten Polizeisperren durchbrechen und Schlägereien anzetteln könne, wurde es ihm zu viel. Einen Jungen, den Frederik aus der Schule gut kannte und der immer radikalere Tendenzen an den Tag legte, sprach er einmal darauf an. „Was stimmt denn mit dir nicht, du Pfeife“, bekam er daraufhin zu hören. Seitdem wurde Frederik das Gefühl nicht los, dass ihn die anderen Fans in der Südkurve kritischer beäugten. Er fühlte sich immer unwohler. Aber lange passierte nichts. Bis zu dem Tag, an dem sein Auto demoliert wurde.

Einschüchterung und Gewalt gegen Fans, die sich gegen Krawalle wehren, ist in Rostock nicht unüblich. Im Sommer 2010 schloss sich eine Gruppe von rund 30 Leuten zusammen, sie nannten sich „Unique Rebels“, sie wollten sich von den anderen Fanklubs der Stadt abheben: keine Schmähgesänge, keine Randale. Von den Krawallmachern distanzierten sie sich. Bei einigen Ultras kam das nicht gut an, sie bedrohten die „Unique Rebels“, die Gruppe löste kurz danach wieder auf.

„Die Geschichte ist in der Stadt bekannt“, sagt Nico Stroech. Dabei gibt es auch gute Geschichten über Fans und Ultras des FC Hansa zu erzählen. Als sich der NPD-Politiker Udo Pastörs im vergangenen Jahr mit einigen Gefolgsleuten auf der Südtribüne einfand, wurde er schnell und unsanft von den Ultras aus dem Stadion gewiesen. „Hansas Fans sind gänzlich unpolitisch“, sagt Stroech. „Auch wenn viele sie oft in die rechte Ecke stellen.“

Stroech, 31 Jahre alt, ein kräftiger Mann mit kurzen dunklen Haaren und der Ausbildung zum Erziehungswissenschaftler, kennt sich in der Rostocker Fanszene bestens aus. Er ist Leiter des Fanprojekts Rostock. Als das Ende 2007 ins Leben gerufen, war es eigentlich schon zu spät. Verein und Fans hatten sich da längst aus den Augen verloren. Der Anfang dieser Entwicklung ist laut Stroech um die Jahrtausendwende zu suchen. Hansa spielte damals noch in der Bundesliga, der sportliche Erfolg überdeckte die Defizite in der Fanszene. Es gab nur ein inoffizielles Fanprojekt, losgelöst vom Hauptverein. Die Anhänger organisierten sich selbst, als eingetragener Verein finanzierten sie sich unter anderem durch Mitgliedsbeträge und Getränkeverkäufe. Die Sache lief, Hansas Verantwortliche mussten sich nicht weiter um sie kümmern.

Ungefähr in diese Zeit fiel das Aufkommen der Ultra-Bewegung, nicht nur in Rostock. Die vorwiegend jungen Fans hatten ihre eigene Vorstellung davon, wie und mit welchen Mitteln die eigene Mannschaft angefeuert werden sollte. Schon bald gab es zwischen den Generationen keine Berührungspunkte, und Betreuung, etwa durch einen Sozialarbeiter, war nicht vorhanden. „Im Untergrund entwickelte sich eine Kultur, die niemand verstand“, sagt Stroech. Wie wenig die neue Generation von Hansa-Fans und den Verein inzwischen verband, zeigte sich im Frühjahr 2007. Nach wiederholten Ausschreitungen kündigte Hansa Rostock bei einer Pressekonferenz Teilen der Fans die privilegierte Partnerschaft. Den Suptras, Rostocks dominierender Ultra-Gruppe, wurden die Räumlichkeiten im Stadioninneren entzogen, die Kommunikation mit ihnen eingestellt. Den Fans war das egal, sie suchten sich ihre eigenen Räumlichkeiten. „Dadurch, dass von Vereinsseite Bezugspunkte gekappt wurden, konnte sich eine autonome Szene bilden“, sagt Nico Stroech. Als die Verantwortlichen diese Entwicklung bemerkten, versuchten sie, ihr Fehlverhalten zu korrigieren, indem sie nur noch mit den Problemfans kommunizierten. Das Selbstvertrauen der Ultras wuchs. „Man hat sich eine Generation von Fußballfans geschaffen, die ihr Ding durchzieht, ohne auf etwas Rücksicht nehmen zu müssen.“

Eine Telefonnummer wurde eingerichtet, bei der Fans Straftaten melden können. "Stasinummer" wird die Hotline in der Szene genannt.

Inzwischen haben bestimmte Fangruppen in Rostock an Einfluss gewonnen. Hinter vorgehaltener Hand wird von Unterwanderung gesprochen. Der Fanvertreter im Aufsichtsrat, Torsten Völker, soll etwa über eine Vergangenheit als Ultra verfügen. Auch der Fanbeauftragte Joachim Fischer geriet zuletzt in die Kritik. Ihm wird laut einem Bericht der „Sport-Bild“ von der Bundespolizei vorgeworfen, nicht bei der Identifizierung auffällig gewordener Personen mitzuhelfen. In der Szene ist Fischer unter dem Namen „Schuppe“ bekannt, er war schon Hansa-Fan, bevor die Ultra-Bewegung entstand. Seinetwegen musste Saskia Pohl gehen, eine Sozialpädagogin. Hansas Vorstandsvorsitzender Bernd Hofmann, der Fischer den Posten übertragen hatte, verteidigt seine Entscheidung: „Es ist üblich, dass man jemanden als Fanbeauftragten nominiert, der über gute Kontakte in die Szene erfügt. Wir wollen die Leute ja auch erreichen.“

Der Verein will in Zukunft die Südtribüne schließen, Dauerkartenbesitzer müssen auf andere Blöcke ausweichen. Dazu wurde eine Telefonnummer eingerichtet, bei der Fans Straftaten anderer Fans melden können. „Stasinummer“ wird die Hotline in der Szene schon genannt. Außerdem hat Hansa Rostock über 50 Stadionverbote ausgesprochen, gegen mehr als 70 Personen wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet. Ob es was nützt? Frederik zuckt mit den Schultern. Er glaubt, dass es vielen Leuten in Rostock noch immer an Einsicht fehle. Wie zum Beleg haben Hansas Fans am Sonntag eine Demonstration gegen Geisterspiele angekündigt. Viele werden dann T-Shirts mit dem Aufdruck „Sportsgeist statt Geisterspiele“ tragen. Der Verein verkauft sie gerade, um das finanzielle Minus zu verringern, das der Zuschauerausschluss mit sich bringt. Bis Freitagabend hatten über 3000 Anhänger ein „virtuelles Ticket“ für das Spiel gegen Dresden gekauft. Ins Stadion dürfen sie damit nicht, das Ganze ist als eine Art Spendenaktion zu betrachten. Für Hansa kommt es auf jeden Cent an. Nach den Ausschreitungen beim Spiel gegen St. Pauli hat der Hauptsponsor angekündigt, sein Engagement am Saisonende zu beenden. 800 000 Euro werden Rostock zukünftig fehlen, und einen neuen Sponsor zu finden ist nicht leicht. Wer will schon einen Klub unterstützen, der wegen seiner Fans nur negative Presse bekommt?

Frederik hat das alles mitbekommen, auch wenn ihn der FC Hansa nur noch am Rande interessiert, wie er sagt. „Vielleicht musste es erst so weit kommen“, sagt Frederik. Dann stellt er eine einfache Gleichung auf. „Kein Sponsor bedeutet kein Geld.“ Kurze Pause. „Und ohne Geld kein FC Hansa.“

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