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Ultras

© dpa

Gewalt im Stadion: Fans im Nebel

Experten befürchten, dass gewaltbereite Ultras zum Problem für den deutschen Fußball werden.

Es hat angenehmere Tage im Leben des Jürgen Bergmann gegeben. Gestern stand das Telefon des Fanbeauftragten des 1. FC Nürnberg nicht mehr still, immer wieder prasselten die gleichen unbequemen Fragen auf den 45-Jährigen ein. Doch wer kann besser beurteilen, was am Samstag in Block 20 des Frankfurter Stadions passierte? Bergmann war dabei, hat auf Verantwortliche der Ultras Nürnberg eingewirkt – und doch nicht gesehen, wer die Böller warf, wer die Bengalos zündete. Doch der Oberfan des „Clubs“ weiß, wo das Kardinalproblem liegt: „Wir haben in Nürnberg eine große Ultra-Bewegung. Der harte Kern der Gruppe besteht aus 200 Personen, zusätzlich gibt es eine dreistellige Zahl von Sympathisanten. Diese Fans stehen für eine fantastische Stimmung, für Liebe und Leidenschaft gegenüber dem Klub – leider machen aber auch Teile der Gruppe Probleme. Sie wollen sich nicht an die Spielregeln halten.“

So wie viele der deutschen Ultras, die in großer Zahl vor allem in Frankfurt am Main, Stuttgart, Karlsruhe und eben Nürnberg anzutreffen sind. Und zur neuen Bedrohung des deutschen Profifußballs aufsteigen. Das bestätigt jedenfalls Michael Gabriel, Leiter der in Frankfurt am Main, ansässigen Koordinationsstelle Fan-Projekte: „Wir beobachten die Entwicklung in Teilen der Ultra-Gruppierung mit Sorge. Die Ansprechbarkeit lässt nach. Dass der Einpeitscher mit dem Rücken zum Spiel sitzt, darf durchaus als ein Symbol gelten: Der Fußball wird nicht mehr so wichtig, dafür die Performance, die Darstellung. Dafür riskieren die Ultras offensichtlich auch die Niederlage durch Punktabzug.“ Die Nürnberger Auswüchse als Sinnbild einer neuen Absetzbewegung? Gabriel sagt: „Es war den Nürnbergern in Frankfurt wichtig, etwas Sichtbares zu präsentieren – ein Machtspiel. Die Ultras haben längst gemerkt, dass Fernsehen, Marketing, Vips und Logen wichtiger sind als sie. Und das stört sie.“ Laut Gabriel herrschte im gesamten Nürnberger Fanblock eine zu hohe Akzeptanz bei diesem Vorfall. „Es war fast kein Problembewusstsein vorhanden.“

Und das ist ein größeres Problem, als man gemeinhin angesichts vermeintlich sicherer Stadien glaubt: Die Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze rechnet mittlerweile mehr als 8400 Personen den Fankategorien B und C (gewaltgeneigt oder zur Gewalt entschlossen) zu. Viele davon gehören den Ultras an, von denen viele großen Wert auf optische Elemente wie Fahnen, Plakate und Choreografien legen, sich aber auch erhebliche Teile nicht von Gewalt distanzieren. Beim 1. FC Nürnberg setzt man darauf, dass „Selbstreinigungsprozesse“ (Manager Martin Bader) greifen, ansonsten darf zu Auswärtsspielen wohl nur noch reisen, wer sich registrieren lässt. Schon die nächste Auswärtspartie am 16. April beim VfB Stuttgart gilt als weiteres Risikospiel.

Der DFB-Kontrollausschuss hat am Montag unter Vorsitz von Anton Nachreiner die Ermittlungen aufgenommen. Dafür maßgeblich ist der Bericht von Schiedsrichter Peter Gagelmann. Auch die Videoaufzeichnungen der Polizei sollen ausgewertet werden. Der Chefankläger wird vermutlich am Dienstag, spätestens am Mittwoch, ein Urteil sprechen. Vermutlich läuft es auf eine empfindliche Geldstrafe für beide Klubs hinaus – als finale Drohung.

Doch was ist wirklich zu tun? Härtere Strafen, schärfere Kontrollen, noch mehr Stadionverbote, wie sie Teile der Führungsspitze bei DFB und DFL fordern? Für Gabriel ist das nicht der richtige Weg: „Das nützt gar nichts. Die Vereine müssen die noch intensivere Diskussion mit der gesamten Fanszene suchen. Die ganze Kurve muss dazu sensibilisiert werden. Die Lösung muss von innen heraus erfolgen.“ Und Bergmann bedauert: „Was ist denn mit dieser dummen und hirnlosen Aktion erreicht worden? Dass die Kontrollen jetzt noch massiver werden, die Freiheiten der Fans noch weiter eingeschränkt werden. Das ist genau das Gegenteil dessen, was Hunderttausende friedlicher Fans eigentlich wollen.“

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