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Absage. Ein Transparent im Hamburger Millerntor-Stadion sagt eindeutig aus, was die Fans vom Sicherheitskonzept der Deutschen Fußball-Liga halten.

© dpa

Gewalt in deutschen Fußballstadien: Mehr Sicherheit – um welchen Preis?

Am heutigen Mittwoch tagt die Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball-Liga und entscheidet über mögliche neue Maßnahmen gegen Gewalt. Doch die Konzepte sind umstritten. Wie kann der Fußball sicherer werden?

Krawalle, Ausschreitungen, qualmende Fanblocks: Das glitzernde Erfolgsprodukt deutscher Profifußball hat auch seine dunklen Seiten. Seit Jahren streiten Verbände, Klubs, Politiker und Fans darüber, wie gefährlich es in den Stadien zugeht – und wie man die Spiele sicherer machen könnte. Am heutigen Mittwoch tagt in Frankfurt am Main die Mitgliederversammlung der Deutschen Fußball-Liga (DFL) und entscheidet über mögliche neue Maßnahmen gegen Gewalt.

Ist die Lage in den Stadien tatsächlich bedrohlicher geworden?

Schon über diese Frage lässt sich streiten. Die bei der Polizei Nordrhein-Westfalen angesiedelte Zentrale Informationsstelle Sporteinsätze (Zis) wertet jedes Jahr alle Spiele im deutschen Profifußball aus. Der Zis-Bericht für die vergangene Spielzeit 2011/12 spricht in Bezug auf gewalttätige Ausschreitungen durch Fußballfans von einem im letzten Jahrzehnt „saisonal schwankenden, jedoch zunehmend höheren Niveau“. Laut Statistik wurden demnach rund um Spiele der Ersten und Zweiten Bundesliga 1142 Personen verletzt (im Vorjahr 846), darunter 235 Polizeibeamte, 514 als „Störer“ eingestufte Personen und 393 Unbeteiligte. Die Polizei schätzt insgesamt 11 373 Fans von Erst- und Zweitligisten als „gewaltgeneigt“ oder „gewaltsuchend“ ein, auch diese Zahl stellt einen deutlichen Anstieg von 17,5 Prozent zum Vorjahr dar.

Die alarmierenden Zahlen verlieren allerdings einen Teil ihres Schreckens, wenn man sie in Relation zum gewaltigen Gesamt-Zuschaueraufkommen setzt: Die 757 von der Zis untersuchten Spiele wurden von insgesamt rund 18,7 Millionen Menschen im Stadion verfolgt. Fanorganisationen beklagen, ein großer Teil der verletzten „Störer“ sei auf den Einsatz von Pfefferspray durch die Polizei zurückzuführen. Und die Zunahme potenziell gewalttätiger Fans ist auch damit zu erklären, dass mit Hansa Rostock, Eintracht Braunschweig und Dynamo Dresden drei Traditionsklubs mit einer großen, in Teilen durchaus berüchtigten Fanbasis in die Zweite Liga und damit ins Visier der Zis aufgestiegen waren. Mittlerweile sind sich fast alle an der Diskussion beteiligten Parteien einig: Gewalt ist ein Problem im deutschen Fußball, geht aber nur von einem Bruchteil der Fans aus. Und im europäischen Vergleich lebt der deutsche Stadionbesucher vergleichsweise sicher. Selbst Zis-Leiter Ingo Rautenberg sagte dem Tagesspiegel, er sehe eigentlich keinen Grund für ein neues Sicherheitskonzept.

Wieso hat die heutige Versammlung eine so große Bedeutung?

In den vergangenen Monaten hat es immer wieder Gewaltausbrüche und unkontrollierte Vorfälle gegeben, die den Großteil der friedlich ablaufenden Spiele überschatteten. Dazu gehörten Ausschreitungen Dresdener Fans im Pokalspiel bei Borussia Dortmund im Oktober 2011, das Chaos im Relegationsrückspiel zwischen Fortuna Düsseldorf und Hertha BSC im Mai 2012, als Düsseldorfer Fans im Freudentaumel den Platz stürmten, und Krawalle im Revierderby zwischen Dortmund und Schalke im Oktober 2012. Hinzu kommt das regelmäßige Abbrennen von Pyrotechnik in den Stadien, das keinen gewalttätigen Hintergrund hat, aber einen Verstoß gegen das Sprengstoff-Gesetz darstellt. Die Vorfälle wurden von der Politik – insbesondere der Innenministerkonferenz (IMK) – zum Anlass genommen, um von den Klubs, dem Deutschen Fußball-Bund (DFB) und der DFL ein größeres Engagement und härtere Maßnahmen gegen Gewalt in den Stadien zu fordern. Es ist umstritten, ob die Vorstöße der Innenminister in der Debatte wirklich zielführend sind. Die Koordinationsstelle der Fanprojekte sprach zuletzt in einem Hintergrundpapier von einer „unnötigen Eskalation durch die Innenpolitik“.

Was will die Politik?

Die Ansage der Innenminister ist klar: „Wir erwarten, dass die Vereine, der Verband und die Liga ihre Beiträge für die Sicherheit in den Stadien deutlich erhöhen“, verkündete Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der vergangenen Woche. Auf ihrer Jahrestagung verabschiedete die IMK zudem einen Katalog, in dem sie eine Aufrüstung der Videoüberwachung, Ächtung von Pyrotechnik, intensivere Einlasskontrollen und eine bessere Qualifizierung der Ordnungskräfte fordert. Die Vereine sollen ab der kommenden Spielzeit auch mindestens zehn Millionen Euro für Fanprojekte bereitstellen. Falls diese Forderungen heute von der DFL nicht umgesetzt werden, droht die IMK damit, die Vereine für die beträchtlichen Kosten der Polizeieinsätze in den Stadien aufkommen zu lassen – ein Schreckensszenario für die Klubs.

Was plant die Deutsche Fußball-Liga?

Die DFL ist zwischen die Fronten geraten und ringt um ihre Unabhängigkeit. Auf der einen Seite wiegt der öffentliche Druck der Politik schwer, auf der anderen Seite protestieren die Fans in den Stadien. Der erste Entwurf eines neuen Sicherheitskonzepts wurde nicht nur von vielen Fans, sondern auch von einer ganzen Reihe von Vereinen abgelehnt. Eine überarbeitete Version mündete nun in 16 Anträge. Die Vertreter der Profiklubs stimmen heute (siehe Kasten unten) also nicht über ein Gesamtpaket ab, sondern über einzelne Maßnahmen. Demnach soll sich jeder Klub beispielsweise dazu verpflichten, „mit Vertretern seiner organisierten Fanszene einen offenen, regelmäßigen und verbindlichen Dialog zu etablieren“. Neben den von der IMK angemahnten Änderungen in der Videoüberwachung geht es in den Anträgen auch um die Möglichkeit verstärkter Personenkontrollen am Stadioneingang.

Was steht heute auf dem Spiel?

DFL-Chef Reinhard Rauball sieht den Ligaverband an einer „Weggabelung“. Es gehe um die Frage: „Können die Profiklubs ihre Hausaufgaben eigenverantwortlich machen und anschließend auch entsprechend selbstbewusst gegenüber Politik und Polizei auftreten?“ Rauball dringt auf eine Entscheidung, mehrere Klubs haben aber schon angekündigt, mehr Bedenkzeit einzufordern. Mit einer Vertagung wird sich die IMK allerdings nicht zufriedengeben. Auf der anderen Seite wird es auch die Fanszene nicht hinnehmen, wenn alle Maßnahmen durchgewinkt werden. Fest steht nur: Die Sicherheitsdebatte wird weitergehen, die Hoheit in der Diskussion könnte sich aber weiter zuungunsten des Fußballs verschieben.

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