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Neue Ausrichtung. Cesare Prandelli hat der italienischen Nationalmannschaft ein anderes Auftreten verordnet.

© AFP

Glaube, Liebe, Offenheit: Nationaltrainer Cesare Prandelli versöhnt Italien

Cesare Prandelli hat innerhalb von nur zwei Jahren das Vertrauen des Landes in die italienische Nationalelf wiederhergestellt - ein Schicksalsschlag änderte seine Sicht auf den Fußball.

Als Cesare Prandelli vor zwei Jahren zum italienischen Nationaltrainer ernannt wurde, da schien es, als würde er das Erbe eines niedergegangenen Adelsgeschlechts übernehmen, ohne zu wissen, was davon überhaupt noch übrig war. Im Juli 2010 stand ganz Italien unter Schock. Bei der WM in Südafrika waren die Italiener als Titelverteidiger angetreten, aber dann war schon nach drei Spielen und einer traumatischen 2:3-Niederlage gegen die Slowakei alles vorbei. Mit dieser Schmach schien endgültig belegt, dass der italienische Fußball in einer tiefen Krise steckte und überdies nicht fähig war, vielversprechende junge Talente hervorzubringen.

Zu diesem Missstand hatten nicht zuletzt die Vereine beigetragen: José Mourinhos Inter Mailand hatte zwar die italienische Meisterschaft, den Pokal und die Champions League gewonnen, doch das nicht selten mit elf Ausländern auf dem Platz. Der Nationalelf stellte dieser Klub damals keinen einzigen Spieler zur Verfügung. Auch die profiliertesten Akteure der Azzurri waren nach der WM enttäuscht und entmutigt. „Ich glaube kaum, dass wir uns für die EM qualifizieren können“, meinte etwa Torwartlegende Gianluigi Buffon. „Um aus diesem Tief wieder herauszukommen, werden wir länger als bloß zwei Jahre brauchen.“

Ein allumfassender Pessimismus breitete sich aus, doch nicht der war der Grund dafür, dass der designierte Nationalcoach Prandelli zunächst gar nicht wusste, ob er den Job wirklich antreten wollte. „Ich fühlte mich mit 53 Jahren eigentlich noch zu jung für eine Arbeit, bei der man nicht Tag für Tag auf dem Platz steht.“ Wäre nicht sein Verhältnis zu Diego Della Valle, dem Präsidenten des AC Florenz, nach fünfjähriger Zusammenarbeit zerrüttet gewesen, hätte es Prandelli wahrscheinlich abgelehnt, das Traineramt bei den Azzurri zu übernehmen. Doch es kam anders, und nun hat Cesare Prandelli innerhalb von nur zwei Jahren das Vertrauen des Landes in die italienische Nationalelf wiederhergestellt. Die EM-Qualifikation überstand das Team ohne Niederlage, nun steht sie im Finale. „Das Entscheidende war, wieder eine emotionale Verbindung zwischen der Nationalelf und dem Land herzustellen.“

Tritt Prandelli nach der EM zurück?

Das Erste, was Prandelli von seinen Spielern verlangte, war eine größere Offenheit nach den Jahren der Wagenburgmentalität. „Wir sind privilegiert“, sagt er. „Wenn man uns um ein Foto oder ein Autogramm bittet, darf uns das nicht nerven.“ Darüber hinaus legt er großen Wert darauf, dass sich das Nationalteam sozial engagiert. Obwohl Prandelli zwei Jahre in Folge als bester Trainer der Serie A ausgezeichnet wurde, ist sein Arbeitsstil weniger manisch als der vieler Kollegen und allein auf den Fußball fokussiert. So überraschte er am Freitag auf der Pressekonferenz mit den Worten: „Die letzten zwei Monate waren sehr anstrengend. Das lastet sehr auf mir. Ich vermisse die Heiterkeit.“ Die Äußerungen wurden in Italien als Rücktrittsgedanken aufgenommen, das Blatt „Tuttosport“ forderte: „Wir müssen Prandelli unbedingt halten.“ Prandelli habe „den Mut, unitalienisch zu spielen“, lobte der frühere Nationalspieler Gianfranco Zola. Doch für Prandelli ist das, was den Fußball umgibt, ebenso wichtig wie das Spiel selbst. Eine Erkenntnis, die er zum großen Teil aus der Trauer um seine Frau Manuela gewann, die Ende 2007 an Krebs starb.

Ganz Italien war berührt von diesem menschlichen Drama, das erstmals im Sommer 2004 bekannt wurde, als Cesare Prandelli nach gerade einmal zwei Monaten den AS Rom verließ, um seiner Frau beizustehen. „Viele haben sich darüber gewundert“, sagt Prandelli, „obwohl das jeder gemacht hätte, dem es finanziell möglich gewesen wäre. Aber im Fußball herrscht nun mal keine Normalität.“

Cesare und Manuela waren 25 Jahre verheiratet und haben nach Aussage von Prandelli „ein einziges Mal gestritten, wegen eines Tischtennisschlägers“. Während er den aufreibenden Job eines Fußballtrainers ausübte, zog sie die gemeinsamen Kinder Niccolò und Carolina groß. „Sie war auch in den kleinsten Dingen immer für mich da“, erinnert sich Prandelli. „Beispielsweise war ich nicht daran gewöhnt, Bargeld dabeizuhaben. Als sie starb, musste ich meine Freunde monatelang darum bitten, mir Geld zu leihen, um alles Mögliche bezahlen zu können – weil ich einfach nie welches dabeihatte.“

Die Kraft, wieder ins Leben zu finden, habe ihm Gott gegeben, sagt Prandelli. Er gehört zu jenem Typ Italiener mit einem soliden, aber nie nach außen gewandten Glauben, der entsteht, wenn man schon als Kind regelmäßig die Fußballplätze der Pfarrgemeinden bespielt. Zehn Kilometer pilgerte Prandelli nach dem Sieg über Deutschland mitten in der Nacht zu einem Kloster. Fünf Jahre nach ihrem Tod ist die Erinnerung an Manuela immer noch intensiv, doch das Leben hat ihm eine neue Gefährtin zur Seite gestellt, Novella. Die beiden leben zusammen in Florenz. „Das menschliche Ziel ist Glück“, meint Prandelli. „Ich habe jemanden gefunden, der in mir den Wunsch geweckt hat, noch einmal mein Glück in der Liebe zu versuchen. Und ohne Liebe könnte ich nicht leben.“

Das merkt man auch an der Art und Weise, wie Cesare Prandelli die italienische Nationalmannschaft trainiert.

Marco Ansaldo

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