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Sport: Glück, Pech, Schicksal

Von Martin Hägele Der Fußball soll in China erfunden worden sein. Wenn wir den Mythen aus der Huang-Dynastie glauben, legten schon 2700 Jahre vor Christus Feldherren und Generäle sowohl auf die Körperertüchtigung als auch die sinnvolle Freizeitbeschäftigung ihrer Soldaten Wert – das Spiel wurde damals Tsuh-küh genannt.

Von Martin Hägele

Der Fußball soll in China erfunden worden sein. Wenn wir den Mythen aus der Huang-Dynastie glauben, legten schon 2700 Jahre vor Christus Feldherren und Generäle sowohl auf die Körperertüchtigung als auch die sinnvolle Freizeitbeschäftigung ihrer Soldaten Wert – das Spiel wurde damals Tsuh-küh genannt. Tsuh heißt mit dem Fuß spielen, und küh ist der Ball.

Aus späteren Zeiten gibt es Sagen. Während der Tsin-Dynastie, circa 600 nach Christus, wurde die siegreiche Mannschaft nach großen Spielen mit Gold, Edelsteinen und kostbaren Stoffen belohnt. Die Verlierer dagegen erhielten zum Spott noch eine Tracht Prügel. Auch über die jüngere Fußball-Geschichte jenes Landes, das allein aufgrund der 1,2 Milliarden Menschen das weltweit größte Potenzial in diesem Sport hat, existieren keine Bücher, nur ein paar vage Daten.

Man muss sich also mit den Erzählungen von Zeitzeugen behelfen. Der ehemalige chinesische Nationaltrainer Klaus Schlappner hat einmal eine solche Runde zusammengestellt: Ma Keijan, heute Verbandsmanager, Ende der Fünfziger und Anfang der Sechziger stand er im Tor des Nationalteams; Xu Genbao, linker Verteidiger 1961 bis 1975, 51 Länderspiele; Chen Xirong, Mittelfeldspieler, von 1970 bis 1984 eine feste Größe in Chinas Auswahl; Gu Quangming, lange Zeit mit über 100 Einsätzen Rekordnationalspieler, sechs Jahre lang der beste Torschütze bei Darmstadt 98.

Es wurde eine lange Geschichtsstunde. Und man hat viel Tee getrunken zu den Erzählungen. Es war spannend und doch immer wieder zäh. Vor allem an jenen Punkten, wo sie nach Erklärungen suchten, nach Ausreden fürs Fußball-Schicksal. Joss. Joss ist ein chinesisches Wort und bedeutet Glück, Pech, Schicksal und noch ein bisschen mehr. Und weil fast alle chinesischen Menschen abergläubisch sind, wird dieser fatalistische Begriff arg strapaziert. In ihrem Sinne aber hat der chinesische Fußball einfach schlechten Joss gehabt.

Der junge Ma Keijan hatte damals Pech, weil er nicht zu jenen Talenten gehörte, die 1954 zur Ausbildung für zwei Jahre nach Ungarn geschickt wurden. Und für die anderen, mit denen er später in der Nationalelf kickte, endete die Ausbildung bei den exzellentesten Lehrmeistern jener Epoche, die Puskas und Hidegkuti, Kocsis und Czibor zweifellos waren, mit dem Exodus der Wunderelf nach dem ungarischen Volksaufstand. Im Oktober 1956 war die sportliche Entwicklungshilfe für die roten Genossen beendet.

Fortan gab es seltsame Spiele wie das gegen Kongo in Tianjian. „Wir müssen freundlich sein zu den Afrikanern, lasst sie auch ein Tor schießen“, ordnete der höchste Polit-Funktionär der Provinz in der Kabine an, nachdem es zur Pause 1:0 gestanden hatte. Doch nach dem Ausgleichstreffer und einem weiteren Torgeschenk hatten die zuvor haushoch überlegenen Chinesen ihr Selbstbewusstsein verloren – Endstand 1:7.

Sie seien keine Fußballspieler, sondern Marionetten des Mao-Regimes gewesen, meint Xu. Nachdem sich der eiserne Vorhang zumindest ein Stück gehoben und China der Fifa beigetreten war, merkten Chen und bald darauf auch der junge Gu, dass die herzliche Atmosphäre bei der Aufnahme in die asiatische Fußballfamilie schnell abkühlte. Sobald es um die Qualifikation für Weltmeisterschaften oder um die Tickets zu olympischen Turnieren ging, schloss sich die alte Clique, angeführt von den reichen Arabern und Koreanern, gegen den Neuen zusammen. „Das Geld der Öl-Millionäre hat aus dem Rasen heraus gestunken“, behaupten Chen und Gu. Nur aufgrund eines Komplotts zwischen Schiedsrichtern und einflussreichen Funktionären sei ihr Team in der Qualifikation zur WM 1982 und Olympia 1984 gescheitert.

Um ihre Spieler physisch und psychisch auf internationales Niveau zu bringen, haben die Sportpolitiker der Volksrepublik ein paar Jahre später den Deutschen Klaus Schlappner verpflichtet. Der hat anfangs auch nicht an Joss oder irgendwelche Götter geglaubt, sondern nur an mentale Stärke, die auf harter Trainingsarbeit fußt. Doch auch er wetterte Ende 1993, auf „den Irak, Jemen, Jordanien und eine syrischen Schiedsrichter". Nur weil diese arabischen Brüder zusammengehalten hätten wie die Teufel, habe sich Schlappners Traum von der ersten WM-Qualifikation Chinas zerschlagen.

Um den Fluch zu besiegen, hat man Bora Milutinovic gebraucht. Den serbischen Trainer-Freak, von dem manche sagen, er sei ein Clown. Und sein Zauber beziehe sich auf WM-Turniere. Andererseits hat wohl auch der asiatische Kontinentalverband bei der Auslosung ein bisschen nachgeholfen und Boras Leuten auf dem Weg zur erfolgreichen Qualifikation für die WM in Japan und Südkorea jegliche schwere Konkurrenz aus dem Weg gelost. China ist schließlich jener Teil des Weltmarkts, auf dem auch im Fußball-Business am meisten zu akquirieren ist.

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