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Golfer Martin Kaymer bei den Olympischen Spielen in Rio.

© dpa

Golfer Martin Kaymer: Olympia-Turnier mit Star-Handicap

Unser Wettkampf des Tages: Golf ist gerade erst zu Olympia zurückgekehrt. Viele große Stars haben aber kein Interesse am Turnier. Martin Kaymer kann das nicht verstehen.

Von Christian Hönicke

Wenn Martin Kaymer über seine spartanische Unterkunft im olympischen Dorf spricht, gerät er regelrecht ins Schwärmen: „Ich habe eine Dusche und ein Bett, die Klamotten liegen auf dem Boden, das Wasser wird auch nicht immer warm. Aber das ist alles, was ich brauche.“ Martin Kaymer verdient als Golfstar Millionen, normalerweise logiert er in nobleren Unterkünften. Die spärliche Behausung in Rio empfindet er aber nicht als unter seiner Würde, sondern als „erfrischende“ Abwechslung. „Hier kommst du gut auf den Boden zurück, wenn du in die Apartments reinkommst“, sagte Kaymer. „Das zeichnet Olympia aus. Es geht nicht um Geld, es geht um Leistung und Sport, deswegen habe ich damals angefangen Golf zu spielen.“

Nicht alle Golfer sind so interessiert an rustikalen Erfahrungen wie der 31-Jährige aus Mettmann. Viele Topspieler haben für Olympia abgesagt, darunter die ersten vier der Weltrangliste: der Australier Jason Day, die beiden US-Amerikaner Jordan Spieth und Dustin Johnson und der Nordire Rory McIlroy. Die meisten beriefen sich auf die Angst vor dem Zika-Virus, doch „bei vielen ist das, glaube ich, eine sehr angenehme Ausrede“, sagt Kaymer. „Das ist sehr schade und traurig für unseren Sport.“ Für ihn sei es nicht weniger als eine „Riesenehre“, neben Alex Cejka für das deutsche Team abschlagen zu dürfen. „Zu dürfen, nicht zu müssen“, betonte er. „Es ist für mich ganz, ganz schwer zu verstehen, wie man beim größten Sportevent nicht dabei sein möchte. Wir kennen nur die offiziellen Gründe.“

Ein inoffizieller Grund dürfte sein, dass die gut situierten Golfer bei Olympia neben der einfachen Unterbringung nicht das gewohnte Millionenpreisgeld erwartet. Zudem fehlt dem olympischen Turnier die Tradition, im Golfsport ein nicht ganz unerheblicher Faktor. Für McIlroy ist die Veranstaltung in Rio dann auch „belanglos“ und er erklärte, dass er es sich nicht einmal im Fernsehen anschauen werde. Lieber will der viermalige Major-Sieger Leichtathletik, Schwimmen oder Wasserspringen gucken, „die Dinge, die eben eine Rolle spielen“.

Beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC) wird man die Worte vernommen haben. „Andere Sportarten werben und kämpfen intensivst darum, ins Programm zu kommen“, sagte Alfons Hörmann, der Präsident des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). „Ich kann mir persönlich vorstellen, dass die IOC-Familie sagt, einmal kann man mit einem solchen Szenario leben.“ Wenn man aber auch beim olympischen Golfturnier in Tokio 2020 das Gefühl habe, dass die Spieler wenig Lust daran hätten, „dann wäre es wenig sinnvoll, das so fortzuführen“.

Von der Rückkehr des Golfsports ins olympische Programm hatten sich die IOC-Funktionäre viel versprochen. Doch bereits der für Olympia gewählte Zählspielmodus stand in der Kritik. Statt auf spannende direkte Duelle untereinander wie beim Ryder Cup zu setzen, wird wie bei normalen Turnieren die Anzahl der Schläge jedes einzelnen Spielers addiert. Das ist gerade für die Zuschauer am Platz nicht unbedingt attraktiv. Und nun spielen die Golfer beim ersten olympischen Wettbewerb seit 112 Jahren auch gleich noch auf Bewährung. Zudem hat der Platz die Vorfreude nicht unbedingt gesteigert. Er wurde mit Hilfe dubioser Immobiliendeals mitten in einem Naturschutzgebiet errichtet, das hat die Bürger in Rio auf die Barrikaden gebracht.

Kaymer gilt nach vielen Absagen als Medaillenkandidat

Die sportliche Qualität der Sportstätte schätzte der Olympiafreund Kaymer diplomatisch ein. Nach den ersten Übungsrunden befand er: „Das ist ein ganz, ganz neuer Golfplatz, auf so einer Art Platz habe ich noch nie gespielt.“ Die Fairways seien sehr breit, „die Abschläge müssen nicht perfekt sein. Erst wenn es Richtung Grün geht, muss man genauer spielen.“

Nach den Absagen der Konkurrenten gilt der zweimalige Major-Sieger und ehemalige Weltranglistenerste als Medaillenkandidat, obwohl er seit seinem Sieg bei den US Open 2014 kein Turnier mehr gewonnen hat. Vor dem Turnierbeginn am Donnerstag spielt er trotz zuletzt ansteigender Form entsprechend defensiv. „Es wird oft geschrieben: Die Guten sind nicht da, das wird ja wohl nicht so schwer sein“, sagt er. „Aber von den 60 Teilnehmern könnten 35 bis 40 die Medaillen holen.“ Major-Sieger wie Danny Willett, Henrik Stenson, Bubba Watson, Padraig Harrington oder Justin Rose. Immerhin: bei der US PGA Championship, dem letzten Major des Saison vor zwei Wochen wurde Kaymer Siebter – es war sein bestes Ergebnis bei einem der großen Turniere seit mehr als zwei Jahren. Doch er sieht auch die besondere Herausforderung Olympia: „Es sind meine ersten Olympischen Spiele, es ist ein anderer Druck, den man positiv oder negativ nutzen kann“, sagte Kaymer. „Ich muss schauen, wie ich das hinbekomme.“

Bei der Eröffnungsfeier im Maracana übermannte den Olympianeuling die ungewohnte Atmosphäre geradezu. Obwohl er in der Jugend ein ganz passabler Fußballer bei Fortuna Düsseldorf war, ist er als Einzelsportler Menschenansammlungen nicht gewohnt. „Wir Golfer stehen vor dem Wettkampf ja normalerweise nur mit unserem Caddy herum.“ Als die deutschen Athleten kurz vor dem Einmarsch ins Stadion die Nationalhymne anstimmten, „da hatte ich Tränen in den Augen. Da steckt so viel Energie und Kraft dahinter, wenn sich 250 Weltklasseathleten hinter dir versammeln.“

Ab Donnerstag aber muss er seine Euphorie vorübergehend in gemäßigte Bahnen lenken. Wenn er das über die vier Turniertage lang schafft, winkt ihm der große Gefühlsausbruch am Ende. „Wenn ich schon beim Einlaufen Tränen bekomme“, sagte Martin Kaymer, „weiß ich nicht, was passiert, wenn ich am Ende auf dem Podest stehe.“

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