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Sport: Gott und Spiele

Nur die katholische Kirche erreicht in Irland so viele Menschen wie Hurling

Andere Länder, andere Sitten. Auch im Sport gilt dieser Satz. Wir beschreiben in loser Folge, welche Sportarten Nationen prägen, und warum das so ist.

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Der Croke Park in Dublin ist gleich mehrmals im Jahr bis auf den letzten Platz gefüllt. 82 500 Zuschauer passen in das einzige Stadion Irlands, das internationalen Ansprüchen genügt. Doch die Menschen kommen nicht etwa wegen Fußball oder Rugby, denn diese „kolonialen“ Ballspiele sollen den Rasen des Croke Park nicht verunstalten. Sie sind wegen Hurling da, Gaelic Football oder Camogie, der weiblichen Spielart des Hurling.

Organisiert ist Hurling in der Gaelic Athletic Association, kurz GAA. Außer der katholischen Kirche hat keine irische Vereinigung mehr Mitglieder als die GAA. Und höchstens die Kirche verfügt über ein ähnlich dichtes Netz, das auch den abgelegensten Bauernhof noch an die Gesellschaft bindet. Wenn es noch irgendeines Beweises bedürfte, dass die europäische Integration der nationalen Eigenart keinerlei Abbruch tut, bietet sich die Popularität der irischen Sportarten an.

Sieben Menschen sind verbürgt, 14 wollten später dabei gewesen sein, als am 1. November 1884 im Billardzimmer von Miss Hayes’ Commercial Hotel in Thurles in der Grafschaft Tipperary die GAA gegründet wurde. Die Vereinigung für die alten irischen Sportarten wurde schon bald zum Pfeiler des irischen Nationalgefühls: Allmählich trat der Sport gleichberechtigt neben die Kultur und die politische Agitation, um ein nationales Zusammengehörigkeitsgefühl zu erzeugen. Weil Irland damals noch unter britischer Herrschaft stand, enthielten die Regeln der GAA zahlreiche Spitzen gegen die Kolonialmacht. Die politische Ausrichtung des Sportverbandes wurde noch verstärkt, nachdem britische Hilfstruppen 1920 im Croke Park ein Massaker unter Spielern und Zuschauern angerichtet hatten, um sich für Anschläge der damaligen IRA zu rächen. Deshalb durften Angehörige von Polizei und Armee keine Mitglieder der GAA werden, die „Garnisons-Sportarten“ Fußball und Rugby waren den Mitgliedern verboten. Die nordirischen Sicherheitskräfte wurden 2001 zugelassen, die „fremden“ Sportarten erst in diesem Jahr, und auch das nur vorübergehend.

Hurling zeichnet sich durch seine große Geschwindigkeit aus. Zwei Mannschaften von je 15 Spielern treten gegeneinander an, das Spielfeld ist etwas größer als ein Fußballfeld. Jeder Spieler hat einen Hurley, einen Holzschläger. Damit wird der Sliothar, ein Lederball, mit Präzision in Richtung Tor geschlagen. Segelt der Ball über die Querstange, gibt das einen Punkt, trifft er direkt ins Tor, werden drei gutgeschrieben. Die beiden Punktesummen werden indessen nicht addiert, das muss der Zuschauer selber besorgen. Nur vier Schritte weit darf der Ball mit der Hand getragen werden. Das Balancieren des Balles auf dem ausgestreckten Schläger ist dagegen nicht eingeschränkt, während der Spieler aus voller Kraft rennt.

Irland ist wohl immer noch das am stärksten zentralisierte Land Europas. So bieten die Ausscheidungsspiele der GAA, die nach Grafschaften und Provinzen geordnet sind, fast die einzige Möglichkeit für eine lokale Identifikation. Wenn Galway ins gesamtirische Finale im Herbst gelangt, braucht ein Reisender keine Landkarte, um zu erkennen, wo die Grafschaft beginnt und aufhört, so klar sind die Häuser in den Farben der Grafschaft beflaggt.

In Nordirland, wo die GAA-Sportarten nur von Katholiken betrieben werden, birgt das gewisse Risiken, erlaubt dem Reisenden aber auch gleich einen Einblick in die konfessionelle Lokaltopografie. Aber es wäre ein Irrtum zu glauben, dass die irischen Sportarten keine internationale Dimension hätten: In der irischen Meisterschaft spielen stets Mannschaften aus New York und London mit – die Diaspora bleibt dem Mutterland verbunden. Und wenn die irischen Emigranten nach New York gingen, nahmen sie den Hurley mit. Beim Duschen nach dem Training wurde dann oft der erste Job vereinbart.

Bisher erschienen: Thaiboxen in Thailand, Pétanque in Frankreich und Badminton in Indonesien.

Martin Alioth[Dublin]

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