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Wahre Liebe. Fans aus aller Welt besuchen auch in diesem Jahr wieder die Tour. Foto: AFP

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Sport: Größer als das Rennen selbst

In Frankreich hat die Tour de France trotz aller Dopingskandale wenig von ihrer Strahlkraft eingebüßt.

Ajaccio - Die Tour de France ist mehr als ein Radrennen. „Sie richtet sich ans kollektive Bewusstsein, schafft kulturelle Referenzen und geht weit über das sportliche Interesse hinaus. Sie spielt mit der Geografie und mit dem Territorium“, bemerkte einst treffend der französische Historiker und Philosoph Georges Vigarello. Dies lässt sich auch bei dieser Jubiläumsausgabe der Tour de France beobachten. Zum einen ist da der Zuspruch. Nicht nur die Korsen versammeln sich zu einem Jubelchor auf der Place St. Nicholas in Bastia, als am Sonntag zum Start der zweiten Etappe gebeten wurde. Aus aller Welt sind Fans angereist, schwenken australische, spanische, russische und japanische Fahnen. Auch aus Deutschland sind Anhänger da. Zwei Studenten, die in Bastia auf einem Zeltplatz kampieren, erzählen, dass sie sogar Vorbereitungszeit für ihre Examen opfern, um wenigstens bis Nizza dem bunten Tross folgen zu können.

Tourdirektor Christian Prudhomme erklärt stolz: „In 190 Länder wird die Tour de France übertragen.“ 22 Millionen Franzosen schauten im vergangenen Jahr mindestens eine Stunde Tour im Fernsehen, 3,5 Milliarden Fernsehzuschauer waren es weltweit. Die Direktübertragungen haben sogar direkten Einfluss auf die Zusammensetzung des aktuellen Pelotons. Die meisten Profis sind dadurch erst zu ihrem Beruf gekommen. Die Tour ist ein Nährboden, der immer neue Generationen von Radprofis heranzieht. Diese Tatsache führt den Tourchef Prudhomme zu der Einschätzung: „Die Tour die France ist ein Monument. Sie ist größer selbst als die Fahrer, die sie gewinnen.“ Prudhomme operiert mit diesem Ausspruch vor allem dann, wenn es sich mal wieder von einem früheren Helden abzusetzen gilt, dem Doping nachgewiesen werden konnte.

Andererseits ist er sich aber auch der Funktion der Tour als kulturelles Gedächtnis bewusst. Nur so ist zu erklären, dass für den fünffachen Toursieger Bernard Hinault extra der Job eines Blümchenübergebers auf dem Podium geschaffen wurde. Und sicher einmalig ist, dass für Raymond Poulidor, der eine Generation vor Hinault achtmal aufs Tourpodium kam, ohne das Rennen auch nur einmal gewinnen zu können, seit Jahrzehnten ein Platz im Startvillage reserviert ist. Dort hält der mittlerweile 77-jährige Weißkopf Tag für Tag Hof. Und wenn ihn Damen und Herren erblicken, deren Schopf ebenfalls längst entfärbt ist, dann geraten sie in Ekstase wie die Jüngeren beim Anblick des Nationalhelden Thomas Voeckler.

Die Tour hat Helden für jede Generation. Das vielleicht ist das große Geheimnis. Wegen dieser Strahlkraft ist sie auch ein Marketingevent erster Güte. 80 Prozent ihrer Werbewerte generieren Namenssponsoren von Rennställen bei der Tour. Die Plattform Tour trägt entscheidend dazu bei, dass Radsportsponsoren einer Studie zufolge im Schnitt für jeden eingesetzten Euro deren fünf in Werbegegenwerten erhalten. Solche Zahlen wiederum locken neue Sponsoren an. Als die Elektronikfirma Belkin fünf Tage vor Tourstart den Rennstall Blanco übernahm, begründete Belkin-Gründer Chet Pipkin diesen Schritt wie folgt: „Die Verbindung unserer Marke mit diesem erfolgreichen, gut aufgebauten Team ermöglicht es uns, Millionen Menschen in der ganzen Welt zu erreichen und mit ihnen zu interagieren.“ In einer Welt, in der Kommunikation zu den höchsten Gütern gehört, ist dies ein echtes Pfund. Die Debatte um Doping wird die Tour wohl kaum zerstören können. Nur wenn gar nicht mehr über sie geredet wird, ist sie tot. Tom Mustroph

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