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Sport: Große Sprünge

Dank Chusovitina und Hambüchen ist die Turn-WM ein deutscher Erfolg

Das deutsche Turnen ist auf dem Sprung. Und das im wahrsten Sinne des Wortes. Nachdem Oksana Chusovitina (Köln) bei den Turn-Weltmeisterschaften in Aarhus bereits am Freitag die Bronzemedaille am Sprung gewonnen hatte, wiederholte Fabian Hambüchen dieses Kunststück gestern – und diese WM-Medaille kam wohl noch überraschender als sein dritter Platz am Donnerstag im Mehrkampf. „Das ist so geil“, sagte der 18-Jährige, nachdem er seine beiden Sprünge mit nur minimalen Standfehlern auf die Matte gebracht hatte. Und gleichzeitig war der Wetzlarer auch ein bisschen froh, dass diese WM nach acht langen Tagen vorbei ist. „Das war doch ein gutes Ende“, sagte Hambüchen und verschwand in den Katakomben der NRGi-Arena, um diese neuerliche Überraschung zu verarbeiten.

Nach der Papierform hätte der 1,63 Meter kleine deutsche Turner gegen die Größen im Sprung keinerlei Chance haben dürfen. Aber die Spezialisten der Branche gingen fast alle ein zu hohes Risiko ein, brachten ihre komplizierten Sprünge nicht in den Stand oder setzten sich gleich auf den Hosenboden. „Jetzt haben sich mal die anderen verpokert“, sagte Hambüchens Vater und Trainer Wolfgang. Er sagte es ohne Schadenfreude, weil sein Sohn Fabian am Reck zwei Mal das gleiche Pech gehabt hatte.

Dass Hambüchen am Ende Sprünge mit dem Schwierigkeitsgrad von 6,2 und 6,6 Punkten zu einer Medaille gereicht hatten, war kaum zu erwarten gewesen. Der Weltmeister Marian Dragulescu (Rumänien) und der neue Vize-Weltmeister Dimitri Kasparowitsch (Weißrussland) hatten zwei Mal die A-Note von 7,0 Punkten aufzuweisen, und auch alle anderen fünf Finalstarter hatten Sprünge mit höherer Schwierigkeit gezeigt. Für Fabian Hambüchen hatte es sich am Ende ausgezahlt, dass er sich gegen das Risiko und für eine saubere Ausführung entschieden hatte.

Hambüchen, mit seinen zwei Medaillen endgültig der Star im deutschen Team, beendete gestern eine Weltmeisterschaft, die für den deutschen Turner-Bund (DTB) erfolgreicher ausgefallen ist als erwartet. Den Akzent bei den Frauen hatte die vor zwei Wochen eingebürgerte Oksana Chusovitina am Freitag ebenfalls mit Bronze gesetzt. Nach der zehnten WM-Medaille ihrer Karriere war die gebürtige Usbekin zum Scherzen aufgelegt. „Vielleicht mache ich jetzt doch bis zu den Olympischen Spielen in London weiter.“ Damit hatte sie schon die Sympathien auf ihrer Seite, denn bei Olympia 2012 wäre sie 37 Jahre alt und wirklich eine Turn-Oma. Mit ihren 31 Jahren war sie schon während dieser WM-Woche in Aarhus eine der ganz großen Attraktionen gewesen.

Im Frauenturnen, das üblicherweise von Teenagern dominiert wird, ist Oksana Chusovitina eine angenehme Ausnahmeerscheinung. Weil sie beweist, dass dieser Hochleistungssport nicht notwendigerweise früh zu einem körperlichen Burnout führen muss. Und weil sie sich mit ihrer Ruhe von den meisten ihrer jungen Kollegen abhebt, die in der Halle herumhüpfen wie nervöse Rennpferde. „Ich habe schon alles erlebt“, sagte Oksana Chusovitina, „warum soll ich mich da noch aufregen.“ Woher sie die Kraft nehme, um trotz ihres Alters immer wieder zu solchen Höchstleistungen fähig zu sein? „Ich habe eine Familie, ich habe ein Kind“, antwortete sie.

Um ihren an Leukämie erkrankten Sohn Alischer zu retten, war Chusovitina 2002 nach Köln übergesiedelt und hatte dort von Freunden viel Hilfe bekommen, nicht zuletzt, um die 120 000 Euro teure Behandlung zu finanzieren. Zu ihrer Familie wollte Oksana Chusovitina denn auch so schnell wie möglich wieder zurück. „Mein Mann hat angerufen und gesagt, ich soll den Wettkampf fertig machen und dann schnell wieder nach Hause kommen“, sagte die Kölnerin. Jetzt kommt sie sogar mit einer Medaille im Gepäck.

Jürgen Roos[Aarhus]

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