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Von wegen Selbstläufer. Auch die Volleyball-Großmacht Kuba muss sich erst noch für die Olympischen Spiele in London qualifizieren. Foto: dpa

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Sport: Großmacht der Ausreise

Es gibt viele Volleyballtalente in Kuba – doch sehr viele verlassen das Land.

Berlin - Rechts, neben dem Pult mit den Mikrofonen, stand Vitali Heynen, Handy am Ohr, den Rücken den Journalisten zugewandt. Links saß sein Kollege Sridharan und lobte in eines der Mikrofone die deutschen Volleyballer für ihr „kraftvolles Spiel“. Als der indische Cheftrainer dann gerade zum Ausgang des Presseraums in der Schmeling-Halle strebte, traf er auf Heynen. Der drückte Sridharan im Vorbeigehen die Hand, drehte dann noch mal seinen Kopf und sagte über die Schulter mit gespieltem Bedauern: „Sorry, wir mussten gewinnen.“

War auch nicht so schwer. 3:0 (25:16, 25:19, 25:15) gegen den Weltranglisten-30. Indien in 75 Minuten, die Leistungsträger Georg Grozer und Max Günthör auf der Bank. Mehr als Pflichtaufgabe war es nicht, das erste Duell um die Olympiaqualifikation im Volleyball am Freitagabend. Und viele neue Erkenntnisse sammelte Bundestrainer Heynen auch nicht.

Drei Stunden zuvor war’s ihm ähnlich ergangen. Kuba traf auf Tschechien, auf der Tribüne hockte der Belgier Heynen, bereit zur großen Analyse, aber viel zu analysieren gab’s gar nicht. „Ich habe die bekannten Stärken von Kuba gesehen, aber nichts Neues.“ Die bekannten Stärken genügten zu einem Sieg über Tschechien, Heynen war also gewarnt. Kuba ist Vizeweltmeister, der entscheidende Gegner für die Deutschen. Gestern Abend trafen beide Teams aufeinander (bei Redaktionsschluss noch nicht beendet).

Dass Kuba überhaupt bei dieser Qualifikation spielen muss, ist ja eigentlich ein Witz, findet Heynen. „Wenn alle Kubaner, die irgendwo in der Welt verstreut sind, in der kubanischen Nationalmannschaft spielen würden, dann wäre Kuba unangefochten Weltmeister.“ Sie sind aber nun mal in der ganzen Welt verstreut, das ist das Problem der Kubaner. Glanz und Elend einer Volleyball-Großmacht liegen nur ein paar entschlossene Schritte auseinander. Kuba entwickelt ständig Talente zu Weltklassespielern. Kein Wunder, auf der Insel ist Volleyball die drittpopulärste Sportart nach Boxen und Baseball.

Aber dann spielen diese Weltstars mit der Nationalmannschaft im Ausland, und danach können Kubas Verbandsfunktionäre regelmäßig die Liste mit den Namen der Spieler verlängern, die sich mit entschlossenen Schritten abgesetzt haben. So verliert das Team permanent Leistungsträger. Das WM-Silber von 2010 sollte eigentlich 2012 mit Olympiagold noch getoppt werden, dummerweise aber wollten die drei herausragenden Nationalspieler Robertlandy Simon, Kapitän und Mittelblocker, Raydel Hierrezuelo, Zuspieler, und Joandry Leal, Außenangreifer, dabei nicht mitwirken. Sie versuchten 2011 zu fliehen, wurden aber daran gehindert und landeten angeblich ein paar Tage im Gefängnis. Aus der Nationalmannschaft jedenfalls, so viel ist sicher, sind sie verbannt.

„Andererseits“, sagt Heynen, „kommen doch jedes Jahr neue Talente. Denen geht doch der Zufluss nicht aus.“ Wilfredo Leon zum Beispiel, der wird von Experten schon als „Jahrhunderttalent“ bezeichnet. Der stieß 2008 zur Nationalmannschaft – mit 14 Jahren. Der Außenangreifer war dabei, als Kuba 2008 in einem dramatischen Spiel in Düsseldorf die Olympia-Qualifikation verpasste. Damals hatten die Deutschen nach 0:2-Rückstand noch 3:2 gewonnen. Jetzt ist Leon schon Kapitän seines Teams. „Er ist der entscheidende Mann bei Kuba“, sagte Heynen. „Er ist stark im Aufschlag, stark im Block, stark in der Annahme, stark im Angriff.“ Und obwohl er viele Bälle annimmt, bekommt der 18-Jährige im Angriff die meisten Bälle. „Wenn man Leon im Griff hat, hat man viel gewonnen“, sagte Heynen. Leon war selbstverständlich auch gegen Tschechien am Freitag der beste Kubaner.

Heynen war extra nach Japan geflogen, um Kuba in der Weltliga zu beobachten. Die Kubaner verloren dort nur ein Spiel, gegen Serbien. „Die Serben haben Leon und Hernandez im Griff gehabt, deshalb“, urteilte Heynen. Fernando Hernandez ist Diagonalangreifer, neben Leon der wichtigste Offensivmann der Kubaner. Zu den absoluten Spitzenkräften von Cheftrainer Orlando Samuels Blackwood gehört auch noch Zuspieler Yoandry Diaz.

Leon ist 18 Jahre alt, Hernandez 22, andere im Team sind ähnlich jung, sie haben also eine glanzvolle Zukunft noch vor sich. Ob sie die in Kuba haben werden, weiß niemand, auch Heynen nicht. Aber er geht nach dem Gesetz der Serie. „In drei Jahren sind die doch auch weg“, sagte der Bundestrainer, wobei unklar ist, wen er konkret meint. Ist ja auch egal. „Dann kommen doch schon wieder die nächsten.“

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