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Sport: Gut gezuckert

Die Zehnkämpfer Sebrle und Dvorák bekamen während des Wettkampfes Glucose-Infusionen verabreicht – ob das erlaubt ist, bleibt umstritten

Zwei Tage lang hatten die Zehnkämpfer gegen finnischen Regen und Wind ankämpfen müssen, und dann fanden sich zwei von ihnen auch noch in einem Verwirrspiel wieder. Es schien, als drohe Olympiasieger Roman Sebrle und Weltmeister Tomás Dvorák bei der Weltmeisterschaft in Helsinki der nachträgliche Ausschluss aus dem Wettbewerb. Sebrle hatte im Zehnkampf die Silbermedaille gewonnen und Dvorák Platz acht belegt. Wären die beiden Tschechen disqualifiziert worden, hätte der Berliner André Niklaus noch die Bronzemedaille bekommen. Anlass für die Aufregung waren Infusionen mit Glucose, also Zucker, die der tschechische Mannschaftsarzt Petr Sikora den beiden vor dem abschließenden 1500Meter-Rennen verabreicht hatte. Nach ersten Auslegungen des Regelwerks war Sikora dazu nicht befugt und hätte dies nur im Notfall tun dürfen. Am Abend erklärte Helmut Digel, der Vizepräsident des Internationalen Leichtathletik-Verbandes IAAF: „Ich weiß nicht, worüber wir entscheiden sollen. Die Infusionen lagen im medizinischen Ermessen.“

Ein Protest eines Landes gegen die Tschechen liegt jedenfalls nicht vor und damit auch kein Antrag an die IAAF, eine Entscheidung zu treffen. Der Protest hätte innerhalb von 30 Minuten nach dem Wettbewerb eingereicht werden müssen. Das finnische Organisationskomitee hatte die IAAF auf die Infusionen aufmerksam gemacht. Uwe Wegner, der Leitende Mannschaftsarzt der deutschen Leichtathleten hat für das Verhalten seines tschechischen Kollegen kein Verständnis: „Was er gemacht hat, ist absolut unsinnig. Diese Infusionen vor dem Rennen bringt gar nichts.“ Es handele sich nicht um Leistungssteigerung, daher auch um keinen Dopingfall, sondern um ein verbotenes Verfahren. Wegner berief sich dabei nicht auf die Regeln der IAAF, sondern auf den Code der Welt-Anti-Doping-Agentur Wada. Dem entgegnete Digel jedoch: „Ich habe den Wada-Code anders gelesen.“

Zunächst war behauptet worden, es sei dem tschechischen Mannschaftsarzt nicht erlaubt gewesen, seine beiden Athleten Roman Sebrle und Tomás Dvorák zu behandeln. Sobald die Athleten den Wartebereich verlassen hätten, dürften sie nur noch von Ärzten des Veranstalters behandelt werden. Digel sagte dazu: „Der Arzt ist akkreditiert, damit ist er autorisiert, seine Athleten zu behandeln. Ärzte haben bei uns in der Gesellschaft ohnehin eine besondere Bedeutung.“

Die tschechische Mannschaftsleitung verteidigte gestern die Infusionen. „Sie waren nötig, um die Gesundheit der Athleten nicht zu gefährden“, sagte Teamarzt Sikora. Eine verbotene Substanz habe er nicht verabreicht. Nach Aussage des tschechischen Delegationsleiters Frantisek Fojt hätten Roman Sebrle und Tomás Dvorák nach der neunten Disziplin, dem Speerwerfen, über eine erhöhte Herzfrequenz geklagt. Außerdem sei eine Unterzuckerung bei den beiden Athleten festgestellt worden. Grund dafür seien die widrigen Bedingungen gewesen. An beiden Tagen des Zehnkampfwettbewerbs hatte es zum Teil heftig geregnet und gestürmt, die Temperaturen waren in Helsinki gegenüber den vorangegangen Tagen stark gefallen. Die Gesundheit der Athleten sei höher zu bewerten als die Regularien, sagten Fojt und Sikora. Die Infusionen verabreichte der tschechische Mannschaftsarzt auch nicht heimlich, es soll zehn Zeugen für diesen Eingriff geben.

Es ist nach Helmut Digels Einschätzung unwahrscheinlich, dass die beiden Zehnkämpfer aus Tschechien disqualifiziert werden. Es sei denn, ihre Dopingprobe wäre positiv. Die IAAF hatte mitgeteilt, dass von Roman Sebrle und Tomás Dvorák nach dem Wettbewerb im Zehnkampf Dopingproben genommen worden seien. Das Ergebnis der Dopingkontrolle gab der Leichtathletik-Weltverband gestern Abend noch nicht bekannt.

Der deutsche Mannschaftsarzt Wegner sieht in der Verabreichung von Infusionen auch ein medizinethisches Problem: „Warum bekommen sie Infusionen? Sie hätten auch mehr trinken können“, sagt er. Bei den Olympischen Spielen 2004 in Athen seien allerdings auch deutschen Athleten noch Infusionen verabreicht worden. Im Grunde fehle jedoch der wissenschaftliche Beweis für die Wirksamkeit von Glucose-Infusionen. „Es läuft auf das gleiche hinaus, wie wenn ich einem Athleten sage, er soll rechts immer schwarze Socken tragen“, sagt Uwe Wegner. Es komme häufiger vor, dass Ärzte den Athleten die Wirksamkeit von bestimmten Substanzen und Verfahren einredeten. Dafür seien Hochleistungssportler besonders anfällig. Die Athleten befänden sich in einer Abhängigkeit, und einige Ärzte wollten ihnen das Gefühl geben, sie besonders gut zu betreuen. „Der Schutz des Athleten sollte aber immer im Vordergrund stehen“, sagt Uwe Wegner. Er fordert deshalb, Infusionen ganz zu verbieten.

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