zum Hauptinhalt

Sport: Haltung verloren

Werder zeigt in Amsterdam seine schlechte Seite

Es drang noch Lärm aus der Arena. Und es waren tatsächlich die Fans von Werder Bremen, die dort feierten. Trainer Thomas Schaaf war noch einmal auf das Feld des ansonsten leeren Stadions getreten, bis in die Gästekurve geschritten und zelebrierte mit den rund 4000 mitgereisten Anhängern die Welle. Es ist das Paradoxon des Europapokalsystems, dass auch der größte Verlierer am Ende noch jubeln kann, sofern er im Hinspiel genug Tore geschossen hat. Werder war mit einem 3:0 in dieses Rückspiel bei Ajax Amsterdam gegangen – einem Vorsprung, der komfortabel erschien, der aber nicht geringer hätte sein dürfen. Die 1:3-Niederlage reichte zum Weiterkommen, ein 1:6 wäre aber möglich gewesen.

Denn in den letzten zwanzig Minuten dieses Spiels ließen die Bremer den Angriffswirbel der Holländer widerstandslos über sich ergehen. Torsten Frings versuchte zwar, seine Kollegen mit Rumpelstilzchen-Gesten aufzuwecken. Doch seine Mitspieler waren spätestens nach dem 3:1 durch Ryan Babel eine Viertelstunde vor Ende in eine Schockstarre gefallen – mit einer Ausnahme. „Wir haben es heute allein Tim Wiese zu verdanken, dass wir uns qualifizieren konnten“, sagte Verteidiger Naldo. Der Torwart rettete zweimal in größter Gefahr gegen Sneijder und Perez. „Ich bin auf niemanden sauer“, sagte Wiese später. „Aber es kann nicht sein, dass wir uns so abschlachten lassen.“ Abschlachten ist keine schöne Metapher, aber wie will man es sonst nennen, was den Bremern in der Schlussphase dieses Spiels widerfuhr?

Dabei waren es eigentlich die Niederländer, die sich aufgegeben hatten. Hugo Almeida hatte Ajax’ frühe 1:0-Führung schnell ausgeglichen. Danach bekam das Spiel den Charakter eines Freundschaftskicks. Die ersten Zuschauer verließen kurz nach der Halbzeit das Stadion. Erst die Unsicherheit der Bremer brachte den Gegner wieder ins Spiel. „Wir haben den Ball nur noch weggespielt und uns immer weiter zurückdrängen lassen“, kritisierte Schaaf. Nach dem 1:3 hätten sie sich auch „auf der Bank sehr unwohl gefühlt“, wie Sportdirektor Klaus Allofs berichtete. „Als Spieler wird einem in einer solchen Situation bewusst, dass man auch ausscheiden kann“, sagte Allofs. „So etwas kann die Beine lähmen.“

Bei Werder scheint es ein Verhaltensmuster zu geben, das immer wieder auftaucht. Die Mannschaft kann sich in einen Rausch spielen. Zugleich gibt es nur wenige Teams, die in Krisenlagen derart die Haltung verlieren. Das 2:7 gegen Lyon aus dem Jahr 2005 – es wiederholt sich bei den Bremern regelmäßig, mit wechselnden Darstellern, in wechselnden Situationen, mit wechselnden Gegnern. Wie ein Virus verbreitet sich in diesen Spielen die Lähmung durch die Mannschaft. Da versucht Tim Borowski, Ruhe ins Spiel zu bringen und spielt Standfußball. Da gelingt Miroslav Klose wieder einmal wenig. Und plötzlich zeigen sich auch bei sonst zuverlässigen Kräften wie Per Mertesacker erschreckende Symptome. „Es gibt den Effekt, dass sich einige von der schlechten Leistung anderer anstecken lassen“, sagte Allofs. Trotz drei Jahren Champions League, trotz zahlreicher Nationalspieler fehlen Werder Spieler, die in heiklen Situationen die Ruhe bewahren. Frings ist mit der Aufgabe allein überfordert. Ein Mann wie Frank Baumann könnte helfen, doch der ist seit Monaten verletzt.

Die Fans feierten am Ende neben Schaaf ihren Helden Tim Wiese. Seine großartigen Paraden sind unbestritten, doch ein Ruhepol war auch er nicht. Stattdessen spornte er das Publikum und den Gegner durch provokante Gesten zusätzlich an. „Er muss ruhiger werden. Wenn ihm das gelingt, wäre es das perfekte Torwartspiel“, sagte Allofs. Das perfekte Spiel – die Bremer schienen es in manchen Spielen der Hinrunde gefunden zu haben. Im Moment könnten sie nicht weiter davon entfernt sein.

-

Zur Startseite