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Hamilton-Strafe: Sühne und Schuld

Das McLaren-Team schützt den Formel-1-Weltmeister Lewis Hamilton und entlässt den Sportdirektor. Hamilton bereut öffentlich

Lewis Hamilton saß da, als würde er gleich anfangen zu weinen. Das, was er sagen wollte, brachte er nur stockend hervor. „Ich ging in diese Anhörung ohne irgendeine Absicht, ich wollte sagen, was passiert ist, aber ich wurde verleitet...“, sagte der amtierende Weltmeister der Formel 1. Sein Arbeitgeber McLaren-Mercedes hatte extra beim Automobilweltverband Fia angefragt, ob man diese Pressekonferenz im offiziellen Raum abhalten dürfe und erhielt die Erlaubnis – eine für Formel-1-Verhältnisse seltene Ausnahme. Doch Lewis Hamilton hatte etwas Wichtiges zu sagen: dass er gelogen hatte.

„Ich möchte mich bei allen meinen Fans entschuldigen, die seit Jahren an mich glauben und denen ich in diesen Jahren gezeigt habe, dass ich kein Lügner und keine unehrliche Person bin“, sagte er, „ich kann nicht sagen, wie beschämend das für mich ist.“ Es war der Versuch einer Schadensbegrenzung. Am Vortag war Hamilton nachträglich für den Großen Preis von Australien wegen „bewusster Irreführung“ der Sportkommissare disqualifiziert worden. Durch seine falschen Aussagen hatte Toyota-Pilot Jarno Trulli eine 25-Sekunden-Zeitstrafe wegen verbotenen Überholens in der Safety-Car-Phase erhalten, und Hamilton war von Platz vier auf drei vorgerückt. Bis alles herauskam. Doch McLaren will jetzt den wirklichen Schuldigen für das Imagedebakel gefunden haben: Sportdirektor Dave Ryan.

„Erst in der vergangenen Nacht und heute Vormittag habe ich herausgefunden, was da bei den Stewards wirklich abgelaufen ist und dass Dave Ryan offensichtlich nicht die ganze Wahrheit gesagt hat,“ erklärte McLaren-Teamchef Martin Whitmarsh. Ryan habe wohl Hamilton zu einer Falschaussage angestiftet. Ob aus taktischen Erwägungen oder warum auch immer, blieb offen.

Auch das Siegerteam von Melbourne geriet gestern in Konflikt mit den Statuten. Brawn-Pilot Rubens Barrichello wird in der Startaufstellung zum zweiten Lauf der Formel-1-Weltmeisterschaft um fünf Plätze nach hinten versetzt. Am Auto des Brasilianers wurde nach dem Training am Freitag in Sepang das Getriebe gewechselt. Erlaubt ist das aber erst nach Ablauf von vier Rennen,

McLaren ist es offenbar nicht leicht gefallen, Ryan zu entlassen. Immerhin arbeitete dieser seit 1974 bei McLaren, zunächst als Mechaniker, seit 1990 als Teammanager, seit 2006 als Sportdirektor. Viele halten ihn ohnehin für ein Bauernopfer, um Hamilton und vor allem Whitmarsh zu schützen. Doch wer die Aufgabenverteilung nach einem Formel-1-Rennen kennt, muss die Schilderung für plausibel halten. Tatsächlich war Whitmarsh im Fahrerlager von Melbourne mit anderen Dingen – vornehmlich Fernsehinterviews – beschäftigt. Ryan hingegen, in dessen Aufgabengebiet das Verhandeln mit den Sportkommissaren gehörte, griff sich Hamilton direkt nach dessen Interviews und ging mit ihm zu der folgenschweren Anhörung.

„Ich kam aus der Box, wir sind zu den Stewards gegangen, ich hatte gar keine Zeit nachzudenken“, erinnert sich Hamilton. Während sie dort gewartet hätten, habe Ryan ihm gesagt, welche Version er erzählen solle – die, dass es keine Anweisung des Teams an ihn gegeben hätte, Trulli passieren zu lassen. „Ich ging rein, tat es und fühlte mich sehr unwohl dabei“, behauptet er. Ob das nun der Wahrheit entspricht oder nicht: Der Schlüsselsatz des Weltmeisters ist eigentlich ein anderer. „Jedes Mal, wenn mir etwas vom Team gesagt wurde, habe ich es getan.“

Das ist der Hamilton, der in seinen vielen Jahren der Bindung an McLaren, die nicht erst mit dem Start seiner Formel-1-Karriere 2007 begann, zum Teil des Systems geworden ist. Eigenes Denken steht dort offenbar nicht immer unbedingt an erster Stelle. Am Freitag wirkte Hamilton, als sei die Betroffenheit nicht nur eine aufgesetzte Demutsgeste. Für ihn sei es kein einfacher Schritt gewesen, einen großen Fehler zuzugeben, sagte er. Fast konnte man den Eindruck gewinnen, dass er die Einsicht gewonnen hatte, es könne sich lohnen, selber zu denken. Und sei es nur, um sich zu schützen.

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