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Handball-EM

© AFP

Handball-EM: Liegen geblieben auf Platz vier

Das deutsche Handball-Lazarett ereilt zum Abschluss der Europameisterschaft ein 26:36-Debakel gegen Frankreich. Wie konnte das passieren?

Es kommt selten vor, dass der nach eigener Aussage handballverrückte Heiner Brand genug von einem Handballspiel hat. Am Sonntag war es der Fall. „Ich habe öfters auf die Uhr geschaut und mir gewünscht, dass die Zeit schneller runterläuft“, sagte der Bundestrainer. Die Abschiedsvorstellung seines Teams bei der Europameisterschaft in Norwegen hatte er zuvor als „Demütigung“ erlebt. Am Ende eines Tages, an dem so gar nichts mehr klappen wollte, an dem Brands Mannschaft Fehler in Serie produziert und viele Tempogegenstöße kassiert hatte, verlor der Weltmeister das Spiel um Platz drei 26:36 (9:18) gegen Frankreich und reist nun ohne Medaille zurück in die Heimat. „Wir haben, auf deutsch gesagt, beschissen gespielt“, sagte Holger Glandorf. Brand hielt dem Team immerhin zu gute, dass „wir personell an unsere Grenzen gestoßen sind. Sicher war auch der Kräfteverschleiß sehr groß. Das entschuldigt einiges, aber nicht alles.“ Markus Baur fiel zur höchsten deutsche Niederlage der EM-Geschichte nur ein: „Das war eine absolute Katastrophe.“

Es passte ins Bild, dass Baur, der Kapitän des bereits von jeder Menge Verletzungen gebeutelten Teams, zuvor mit dem linken Sprunggelenk umgeknickt war und verletzt vom Platz getragen werden musste. Von Beginn hatte das Turnier für das deutsche Team unter einem ungünstigen Stern gestanden. „Es ist natürlich nicht gut, wenn nach vier Minuten alles über den Haufen geworfen wird“, sagte Baur und erinnerte noch einmal an den tragischen Kreuzbandriss Oleg Velykys, des zweifelsfrei individuell stärksten deutschen Einzelspielers, aus dem Auftaktspiel gegen Weißrussland. Eine „wechselhafte Vorrunde“, bescheinigte Heiner Brand seiner Mannschaft, die hier zwar souverän gegen die starken Ungarn (28:24) siegte, aber gegen Spanien (22:30) einen unerklärlichen Leistungseinbruch erlitt. Auch durch die Hauptrunde wankte das deutsche Weltmeisterteam. Der Rückraum um Pascal Hens und Holger Glandorf rief erst im entscheidenden Spiel gegen Schweden (31:29) sein großes Leistungspotenzial ab.

Sein Team habe nach der hoffnungsvollen Vorbereitung nicht immer höchstes Niveau geboten, räumte Brand selbstkritisch ein. „Im Angriff gibt es einen gewissen Nachholbedarf, da müssen wir uns verbessern“, meinte der 55-jährige Gummersbacher, der nach der denkbar knappen 25:26-Niederlage im Halbfinale gegen Dänemark, die der Flensburger Lars Christiansen drei Sekunden vor Schluss per Siebenmeter besiegelt hatte, aber insgesamt ein positives Fazit zog. „Das war sensationell, wie sich die Mannschaft verhalten hat“, sagte Brand nach dem Halbfinale, lobte den „Siegeswillen“ und „die Bereitschaft, über alle Widrigkeiten hinwegzugehen“. Gemeint waren damit nicht nur die Verletzungen von Oliver Roggisch, Florian Kehrmann und Christian Zeitz, die die Mannschaft klaglos akzeptiert hatte. Brand spielte damit auch auf die fast achtstündige Busfahrt am Freitag zwischen Trondheim und Lillehammer an, mit der sich der vermeintliche Ruhetag der Handballer als Farce entpuppt hatte.

Auch wenn die Enttäuschung über die verpasste Medaille nicht übersehbar war, hielt sie sich dennoch in erträglichen Grenzen. Ein Grund dafür ist, dass sich in diesem Jahr noch ein weiteres Mal eine Chance auf einen Medaillengewinn bieten wird: bei den Olympischen Spielen in Peking im August. Den Vorteil, für das olympische Handballturnier bereits qualifiziert zu sein, während Mannschaften wie Frankreich, Polen, Island oder Schweden noch in aufreibende Qualifikationsturniere müssen, hat sich das Brand-Team mit dem Gewinn des WM-Titels bereits vor einem Jahr erarbeitet.

Und genau dieses olympische Turnier steht nun im Fokus aller Bemühungen. Das Projekt Olympia-Gold hat bereits begonnen. Die Europameisterschaft 2004 und die Weltmeisterschaft im vergangenen Jahr haben erfahrene Profis wie Christian Zeitz, Markus Baur, Florian Kehrmann, Pascal Hens und Torsten Jansen bereits gewonnen. Nur der Olympiasieg ist auch für Brand ein bislang unverwirklichter Traum. 2004 in Athen scheiterte das Team äußerst knapp im Finale gegen Kroatien, als es ebenfalls auf wichtige verletzte Profis wie Hens verzichten musste. Um diesmal Gold zu holen, schürt Brand bereits den Konkurrenzkampf: „Auch die Leistung bei dieser EM wird kein Freibrief sein für die Olympischen Spiele.“ Eine Prognose für Olympia wollte der Bundestrainer noch nicht abgeben: „Im Handball kann so viel passieren.“ Das hätte Heiner Brand allerdings nicht noch extra betonen müssen: Die zurückliegenden Tage in Norwegen haben dies sehr anschaulich illustriert.

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