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Ansagen, die ankommen. Dagur Sigurdsson wird von den Nationalspielern für seine gute Kommunikation gelobt.

© dpa

Handball-Europameisterschaft: Dagur Sigurdsson - der Souverän

Dagur Sigurdsson hat die Nationalmannschaft erfolgreich durch sein erstes komplettes Kalenderjahr als Handball-Bundestrainer geführt. Die EM in Polen ist sein nächstes Großprojekt.

Die schlechten Nachrichten kamen im Monatstakt, aus allen Ecken des Landes. Zuerst meldete Kiel die Verletzung von Kreisläufer Patrick Wiencek, Diagnose: Kreuzbandriss, sechs Monate Pause. Im Dezember dann böse Kunde von den Rhein-Neckar Löwen aus Mannheim: Uwe Gensheimer (Muskelfaserriss) und Patrick Groetzki (Wadenbeinbruch) hatten sich innerhalb von vier Tagen schwer verletzt, von jetzt auf gleich fehlten dem Handball-Nationalteam beide etatmäßigen Außenspieler.

Zudem übermittelte Paul Drux von den Füchsen Berlin, was sich schon länger angedeutet hatte: Für die Europameisterschaft in Polen, die für das deutsche Team am Samstag (18.15 Uhr, live im ZDF) mit dem Duell gegen Spanien beginnt, steht der 20-Jährige nach seiner ersten langen Verletzung noch nicht wieder zur Verfügung. Und die Absagenflut ging immer und immer weiter: Michael Allendorf, Matthias Musche, Steffen Fäth...

Man will sich gar nicht vorstellen, wie Martin Heuberger auf diese Liste reagiert hätte, wenn er nicht längst wieder im Umweltamt des Kreises Ortenau seiner Arbeit nachginge. Bei aller Fachlichkeit, die dem glücklosen Ex-Bundestrainer nachgesagt wird, wirkte er nach außen doch immer ein wenig hölzern und weinerlich – ganz im Gegensatz zu seinem Nachfolger Dagur Sigurdsson.

Der Isländer hat die personelle Misere vor dem Turnier mit dem ihm eigenen Pragmatismus in zwei Sätzen abmoderiert. „Deutschland ist die beste Nation, um solche Verletzungen zu kompensieren“, hat er gesagt. Und dass er mit Blick auf die EM sehr optimistisch sei, denn: „Es gibt nicht viele Mannschaften in Europa, die so spannend sind wie unsere.“ Ein echter Sigurdsson. Vorwärts immer.

Die deutsche Mannschaft gilt bei der EM als Geheimfavorit auf das Halbfinale

Nach seinem ersten kompletten Kalenderjahr als Bundestrainer hat der 42-Jährige berechtigten Grund zum Optimismus. In Katar verpasste sein Team gegen den Gastgeber zwar die Chance, zum ersten Mal seit 2007 wieder in ein WM-Halbfinale einzuziehen, insgesamt aber hinterließ die Nationalmannschaft einen positiven Eindruck. Rang sieben genügte zudem zur Teilnahme am Qualifikationsturnier für Olympia 2016. Später, in der EM-Qualifikation, leisteten sich die Deutschen auch nur eine Niederlage, gegen EM-Auftaktgegner Spanien. Beim Turnier in Polen werden sie nun durchaus als Geheimfavorit auf das Halbfinale gehandelt. Trotz all der Ausfälle und Sorgen – in erster Linie ein Verdienst Sigurdssons.

„Dagur arbeitet im Nationalteam mit der gleichen Akribie und Konsequenz wie er es bei uns im Verein getan hat“, sagt Bob Hanning, DHB-Vizepräsident und Manager der Füchse Berlin, der Sigurdsson aus sieben gemeinsamen Jahren beim Bundesligisten kennt. „Er hat sich in der ganzen Zeit nicht mit Problemen auseinandergesetzt, sondern immer mit Lösungen.“ Vor allem hat Sigurdsson als Bundestrainer das gemacht, wofür er schon in Berlin bekannt war: den Nachwuchs gefördert. Unter seiner Verantwortung gab es mehr als ein Dutzend Debütanten, der Altersdurchschnitt seines EM-Kaders liegt bei knapp über 23 Jahren, Torwart-Routinier Carsten Lichtlein ist als einziger Spieler im Kader älter als 30 Jahre.

"Wenn ich zwei Spieler auf einem Niveau habe, nehme ich den Jüngeren"

Dabei profitiert der Isländer einerseits von den zuletzt sehr erfolgreichen deutschen Nachwuchs- und Juniorenteams: Viele Hochbegabte klopfen nicht mehr nur an die Tür, sie sitzen längst in der Kabine des Nationalteams: Christian Dissinger, Finn Lemke, Simon Ernst, Fabian Wiede, Rune Dahmke, Paul Drux – um nur einige zu nennen. Andererseits vertraut Sigurdsson seinen Juwelen aus Überzeugung, auch und besonders unter Drucksituationen. „Wenn ich zwei Spieler auf einem Niveau habe, nehme ich immer den jüngeren“, hat er einmal im Interview mit dem Tagesspiegel gesagt. So hat er es einst als Jung-Nationalspieler in der isländischen Auswahl gelernt, so setzt er es als Trainer fort. Für den zuletzt formschwachen Silvio Heinevetter etwa nominierte Sigurdsson neben Routinier Carsten Lichtlein den jungen Andreas Wolf von der HSG Wetzlar, der sich zuletzt mit einer herausragenden Bundesliga-Hinrunde einen Vertrag beim THW Kiel verdient hat. Mit Michael Kraus ist mittlerweile auch der letzte verbliebene Spieler aus dem WM-Team von 2007 aus dem Kader verschwunden, der in Katar noch dabei war.

Nicht die schlechtesten Zeichen für den deutschen Handball, zumal Sigurdssons Konzept langfristig angelegt ist. Das Turnier in Polen ist für ihn und sein Team nur ein Zwischenstopp auf dem Weg zu ganz großen Zielen: Bei der WM 2019, ausgetragen von Deutschland und Dänemark, soll er ein Team entwickelt haben, das um den Titel mitspielen kann, gleiches gilt für Olympia 2020. Gegen eine gute Platzierung bei der EM hätte der Bundestrainer sicher trotzdem nichts einzuwenden.

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