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Elf Tore für die Ewigkeit. Nach dem Abpfiff konnten die Berliner kaum glauben, dass sie den Rückstand gegen Leon aus dem Hinspiel noch aufgeholt hatten.

© dpa

Handball-Helden: Die Füchse zwischen Alltag und Wahnsinn

Nach dem triumphalen Sieg in der Champions League müssen die Füchse gegen die Rhein-Neckar Löwen zurück in den Alltag. Doch bevor es am Abend so weit ist, wurde der Halbfinalgegner für das europäische Final Four ausgelost.

Diese Frage musste ja kommen. Also: Herr Sigurdsson, wie stehen die Chancen auf einen Sieg Ihrer Mannschaft in der Champions League? Der Trainer der Füchse Berlin lächelte am Sonntag zunächst milde, überlegte kurz und zuckte mit den Schultern. Eine Stunde nach dem Spiel seiner Mannschaft wollte ihm keine Antwort einfallen. „Welche Teams sind denn überhaupt dabei?“, fragte der Isländer zurück. Was sich am vergangenen Wochenende in den großen Handballhallen Europas, in Madrid, Barcelona und Kiel ereignete, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgedrungen zum Trainer der Berliner Handballer. Sigurdsson wirkte noch gefangen im eigenen Spiel, irgendwo im Paralleluniversum nach dieser denkwürdigen Begegnung seiner Mannschaft.

Getragen von 9000 Zuschauern hatten die Füchse im Viertelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Ademar Leon einen Elf-Tore-Rückstand aus dem Hinspiel egalisiert (23:34), dank der mehr erzielten Auswärtstore stehen sie nach dem 29:18 (13:6)-Sieg im Final-Four-Turnier des wichtigsten Wettbewerbs im Vereinshandball, das am 26. und 27. Mai in Köln ausgetragen wird – in ihrer ersten Champions-League-Saison überhaupt. Kapitän Torsten Laen ordnete die Dimension des Erfolgs so ein: „Über dieses Spiel werden wir noch in zehn Jahren sprechen.“ Sigurdsson pflichtete bei: „Es war ein historisches Match, ein Abend voller Helden.“

Bildergalerie: Das unglaubliche Comeback der Füchse in der Champions League.

Die Heroen des Abends hießen Silvio Heinevetter, Alexander Petersson und Alexander Haase. Nationalkeeper Heinevetter entnervte die Spanier mit einer Reihe großartiger Paraden vollends, Co-Trainer Alexander Haase wurde von Sigurdsson in höchsten Tönen für seinen Taktik-Plan gelobt, den er bereits nach dem Hinspiel-Debakel auf dem Weg zum Flughafen entworfen hatte, ganz altmodisch mit Zettel und Stift, ohne große Videoanalyse. Und eben Alexander Petersson, der den Füchsen im Verlauf der Rückrunde wegen einer Schulterverletzung über Wochen gefehlt hatte. Wie schon im Achtelfinale gegen den HSV Hamburg hielt der Isländer sein Team gegen Leon im Spiel, er erzielte neun Treffer.

Es kommt dicke: Am Mittwoch wurde der Halbfinalgegner der Füchse ausgelost

Während Heinevetter seinen Sonntagabend als Studiogast in der „Sportplatz“-Sendung des RBB verbrachte, saßen Haase, Petersson und der Rest der Mannschaft samt ihrer Frauen in einem Restaurant beisammen. „Alle waren total kaputt – aber nach so einem Spiel konnten wir nicht einfach nach Hause gehen“, sagte Petersson am Tag danach, er klang noch reichlich mitgenommen. Dass die Berliner bereits am Mittwoch wieder in der Bundesliga antreten müssen, dass es in Mannheim gegen die Rhein-Neckar-Löwen (20.15 Uhr, in Konferenz live bei Sport1) um wichtige Punkte in der Bundesliga geht, das klammerten sie einfach mal aus, so gut es eben ging.

Für Petersson war das allerdings gar nicht so einfach. Schließlich wechselt der Linkshänder am Saisonende nach zwei Jahren im Trikot der Berliner nach Mannheim. „So groß wie die Euphorie gerade ist, so groß muss die Konzentration am Mittwoch sein, das wird schwer“, sagt Petersson. Bei einer Niederlage könnten die Füchse den dritten Rang, der zu direkten Champions-League-Teilnahme berechtigt, an den HSV verlieren, selbst die Rhein-Neckar Löwen wären plötzlich wieder mittendrin im Fernduell um einen der vier ersten Plätze. Petersson könnte sich mit einer guten Leistung im Füchse-Trikot also selbst um eine mögliche Champions-League-Teilnahme im nächsten Jahr bringen. An solchen Gedankenspielen will sich der Isländer allerdings gar nicht erst beteiligen. „Ich konzentriere ich mich voll auf Berlin“, sagte er. „Dafür ist das, was noch vor uns liegt, viel zu schön. Nach der Saison beschäftige ich mich dann mit meinem neuen Verein.“

Die Mannheimer richten ihren Kader im Sommer neu aus. Leistungsträger wie Krzysztof Lijewski, Karol Bielecki, Ivan Cupic, Robert Gunnarsson und Henning Fritz verlassen den Klub, der seit dem Rückzug von Hauptsponsor Jesper Nielsen vermehrt auf junge Spieler setzen will respektive muss. Nielsen investiert sein Geld mittlerweile lieber in Dänemark, beim AG Kopenhagen, einem der potentiellen Gegner der Füchse beim Final-Four-Turnier. Im Halbfinale treffen die Füchse aber zunächst auf den THW Kiel. Das ergab die Auslosung am Mittwochvormittag. Petersson hatte schon vorher gesagt: „Egal, wer da kommt, wir werden krasser Außenseiter sein“.

In Anbetracht der Kulisse vom Sonntag, die bei jedem Angriff der Spanier ein Pfeifkonzert veranstaltete, wie es ein Handball-Spiel in Berlin noch nicht erlebt haben dürfte, äußerte Torsten Laen einen besonderen Wunsch. „Am liebsten“, sagte der Kapitän, „würden wir die Schmeling-Halle mit nach Köln nehmen.“ Sprach es, zwinkerte mit dem rechten Auge – und ging wieder feiern.

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