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Viel Lärm, wenig Stimmung. Die Handballer aus Katar werden zwar (wie hier im Vorrundenspiel gegen Spanien) von ihren Fans unterstützt, aber so richtig mitreißend ist das nicht.

© AFP

Handball in Katar?: Lieber zum Kamelreiten oder auf Falkenjagd

Auf den Fernsehkanälen in Katar ist die Handball-WM pausenlos Thema. Trotzdem hält sich das Interesse für das Turnier im Volk in überschaubaren Grenzen.

Wie eine Fata Morgana erhebt sich das Gebäude aus dem Sand. Plötzlich und unerwartet zeichnen sich die Konturen der gewaltigen Arena ab, die mitten in einer kleinen Talsohle liegt. Dank ihrer schrillbunten und wechselnden Beleuchtung und der futuristischen Architektur wirkt sie aus der Entfernung eher wie ein Raumschiff, das gerade mitten in der Wüste notgelandet ist – und nicht wie eine Sportstätte. „That’s where you wanna go?“, fragt der Taxifahrer mit unverwechselbarem indischen Akzent. Da wollen Sie tatsächlich hin?

Hinter dem Mann liegen zu diesem Zeitpunkt 15 Kilometer von Baustellen und Kränen flankiertes Niemandsland, ein paar kommen noch mal hinzu bis zur Endstation. Lusail – so heißt das Gebiet nördlich von Doha, in dem gerade eine gewaltige neue Stadt entsteht. Irgendwann in zehn, allerhöchstens zwölf Jahren sollen hier Wohnungen für eine halbe Million Menschen hochgezogen worden sein. Die Mehrzweckhalle mit ihren integrierten Schwimmbädern, Hotelzimmern und Trainingshallen soll dann das Zentrum des neu zu besiedelnden Stadtteils bilden. Abgesehen von der Arena und ein paar Straßen gibt es hier im Moment allerdings nur Sand, Sand und, beinahe vergessen, Sand natürlich. „Never been here before“, sagt der Taxifahrer. Und die Handball-WM? Schon mal gehört? „World Cup?“, vergewissert sich der Inder – und schüttelt den Kopf.

So geht es den allermeisten Menschen in Katar. Zur Halbzeit der Handball-Weltmeisterschaft hat sich mittlerweile zwar weitläufiger als noch vor einer Woche herumgesprochen, dass am Sonntag mit den Achtelfinals die K.-o.-Runde des Turniers beginnt, auf den Nachrichtenkanälen des Landes jedenfalls ist die WM pausenlos Thema. Trotzdem hält sich das Interesse für das Turnier im Volk in sehr überschaubaren Grenzen. Die zwei Millionen Gastarbeiter, die etwa 90 Prozent der katarischen Bevölkerung ausmachen, haben ohnehin ganz andere Sorgen. Und die Einheimischen? Die begeistern sich für Kamelreiten, Cricket, Fußball oder, besonders populär, die Falkenjagd. Thani Abdulrahman al Kurawi hat die WM dieser Tage in einem ersten Fazit trotzdem als „großen Erfolg“ bezeichnet. „Alle sind glücklich, also bin ich es auch“, hat der Generaldirektor des WM-Organisationskomitees verlautbaren lassen.

90 Prozent der katarischen Bevölkerung sind Gastarbeiter - die haben andere Sorgen

Fragt sich nur, bei welchem Turnier al Kurawi zugegen war. Nicht mal am Abend der Eröffnungsfeier haben es die Organisatoren fertig gebracht, die mit 15 300 Plätzen völlig überdimensionierte Halle in Lusail zu füllen, von den anschließenden Vorrundenspielen ganz zu schweigen. Im Normalfall schwankte die Besucherzahl irgendwo zwischen 500 und 2000, bei einigen Begegnungen saßen mehr Journalisten als Fans in der Arena. Die oberen Ränge wurden deshalb regelmäßig mit großen Nationalfahnen jener Länder verhüllt, die gerade unten auf dem Spielfeld um Punkte kämpften. In den anderen Spielstätten, der Ali Bin Hamad Al Attiyah Hall (7700 Plätze) und der Duhail Hall (5500 Plätze), sah das nicht anders aus. Einzig bei Spielen mit nordafrikanischer Beteiligung war es so wunderbar laut und stimmungsvoll, wie man es von anderen Turnieren kennt – weil viele Ägypter und Tunesier in Katar leben.

Dabei haben Thani Abdulrahman al Kurawi und seine Kollegen aus dem Organisationskomitee alle Möglichkeiten ausgeschöpft, um genau dieses Szenario zu verhindern. Bei einem Spaziergang entlang der Strandpromenade Dohas, die sich über mehrere Kilometer entlang der Bucht am Persischen Golf erstreckt, geht man keine 100 Meter, ohne auf Werbung für die WM zu stoßen, auch an den Wolkenkratzern der Stadt sind große Banner angebracht worden. Weil Geld im Wüstenstaat ohnehin eine sehr untergeordnete Rolle spielt und die Refinanzierung des Turniers entsprechend egal ist, sind auch die Eintrittspreise gewissermaßen subventioniert worden: Ein Ticket für den ersten vollständigen Wettkampftag mit insgesamt vier Vorrundenspielen kostete gerade einmal 30 Katar-Riyal, umgerechnet etwa acht Euro.

Handball als Rahmenprogramm bei einer Handball-WM - das hat es noch nicht gegeben

Weil all diese Maßnahmen bislang nicht den gewünschten Effekt erzielt haben, legten die Organisatoren in dieser Woche noch einmal denkbar spektakulär nach: Am Donnerstag ließen sie den US-amerikanischen Sänger und Produzenten Pharell Williams für einen 60-minütigen Auftritt aus den USA einfliegen, und siehe da: Für den Grammy- und Oscar-Gewinner nahmen mehrere tausend Menschen den verhältnismäßig weiten Weg raus nach Lusail in Kauf. Schließlich war die Konzertkarte im Eintrittspreis für die Handballspiele zwischen Deutschland und Argentinien und später zwischen Dänemark und Russland einbegriffen. Das Problem war nur: Zu den beiden sportlich erstklassigen Begegnungen kamen – im Gegensatz zum Konzert des Hip-Hoppers – wieder nur ein paar hundert Menschen. Handball als Rahmenprogramm bei einer Handball-Weltmeisterschaft, das hat es in dieser Form auch noch nicht gegeben.

Für Samstagabend, nach den Duellen zwischen Deutschland und Saudi-Arabien sowie zwischen Dänemark und Polen, war in der Arena in Lusail außerdem ein Auftritt von Gwen Stefani geplant. Das Konzert der Sängerin wurde allerdings so kurzfristig wieder abgesagt, wie es anberaumt worden war, und zwar aus politischen Gründen: Nach dem Tod von König Abdullah von Saudi-Arabien hat der katarische Emir Tamim bin Hamad al Thani eine dreitägige Staatstrauer ausgerufen. Das saudische Staatsoberhaupt war in der Nacht zu Freitag im Alter von 91 Jahren an den Folgen einer Lungenentzündung gestorben.

Das ohnehin überschaubare öffentliche Leben in Doha kommt damit bis Montag vollends zum Erliegen. Abgesehen von der Handball-WM und dem PGA-Masters-Turnier im Golf sind alle sportlichen und gesellschaftlichen Veranstaltungen abgesagt worden. Für die überwiegend aus Europa angereisten Handball-Fans wirkt sich das vor allem im Hinblick auf die Abendplanung aus: Auf Erlass des katarischen Emirs dürfen vorerst nicht mal mehr die Fünfsternehotels der Stadt Alkohol verkaufen, die als Einzige über Ausschankgenehmigungen verfügen.

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