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Torwart, ratlos. Silvio Heinevetter nach der Blamage gegen Montenegro.

© dapd

Handball-Nationalmannschaft: Es war einmal ein Wintermärchen

Sechs Jahre nach dem Sieg bei der Heim-WM trudelt die Handball-Nationalmannschaft Richtung Bedeutungslosigkeit. Schnelle Abhilfe ist im Moment nicht in Sicht.

Diese Form der Huldigung war in der Tat neu. Den Turnierbart als Zeichen einer verschworenen Gemeinschaft kannte man ja, und auch auf die Idee mit der goldenen Pappkrone waren vorher schon andere gekommen. Dass bei der Siegerehrung allerdings gleich eine ganze Mannschaft zu Trägern künstlicher Schnauzbärte wird, das hatte man so noch nicht gesehen. Arm in Arm hüpften sie also herum, die besten Spieler einer großen deutschen Handball-Generation, und trugen Heiner-Brand-Gedächtnis-Schnurrer. Es waren Bilder von großer Strahlkraft und noch größerer Symbolik. Wenige Wochen nach dem Sieg bei der Heim-Weltmeisterschaft 2007 kam sogar ein Film mit dem Titel „Projekt Gold“ heraus, der den ersten WM-Erfolg seit beinahe 30 Jahren noch einmal dokumentierte. So viel Aufmerksamkeit hatten in Deutschland zuvor höchstens Fußballspieler bekommen. Ein gutes halbes Jahr nach dem Sommermärchen 2006 machte sogar der Begriff vom Wintermärchen die Runde.

Keine Frage, der deutsche Handball war auf dem Höhepunkt angekommen. Knapp sechs Jahre später kommt der Winter weit weniger märchenhaft daher. Die vielleicht deutscheste aller Sportarten steckt in einer Krise. Zwar bestätigt die Bundesliga in den Europapokal-Wettbewerben Jahr für Jahr ihren Ruf als stärkste Liga der Welt. Die Nationalmannschaft aber trudelt angesichts rar gewordener deutscher Spitzenspieler in Richtung Bedeutungslosigkeit. Nach Platz zehn bei der Europameisterschaft 2010 belegten die Deutschen bei der WM 2011 sogar nur Platz elf. Bundestrainer Heiner Brand trat nach 14 Jahren im Amt zurück. Unter seinem Nachfolger Martin Heuberger folgte das Vorrundenaus bei der EM 2012 und damit verbunden die erste verpasste Olympia-Teilnahme in der Geschichte des Verbands. Tiefpunkt waren die jüngsten Begegnungen in der EM-Qualifikation. Gegen Montenegro (27:31) blamierte sich die Mannschaft am vergangenen Donnerstag und wurde vom sonst so treuen Publikum in Mannheim ausgepfiffen. Drei Tage später rumpelte sich Heubergers Team zu einem 30:27-Sieg in Israel.

„Auch dieses Spiel war keine sportliche Offenbarung, aber die Mannschaft hat wenigstens Herz gezeigt“, sagt Horst Bredemeier, von 1989 bis 1992 selbst Bundestrainer und heute Vizepräsident Leistungssport beim Deutschen Handball-Bund (DHB). „Gegen Montenegro habe ich das komplett vermisst, auch wenn ich es ungern sage. Aber da gibt es nichts schönzureden.“ Schließlich hat die Sportart, hat der größte Handball-Verband der Welt, einen Ruf zu verlieren.

In diesem Sinne äußerten sich zuletzt bereits ehemalige Spieler, allen voran Christian Schwarzer, der Antreiber und heimliche Kapitän der Weltmeister von 2007. Es gehe darum, „die Sportart Handball in der öffentlichen Wahrnehmung hinter König Fußball auf dem zweiten Platz zu halten“, sagte Schwarzer. Auch Horst Bredemeier treibt diese Sorge um. „Die Warnungen sind in Anbetracht der negativen Ergebnisse absolut berechtigt, auch wenn ich die Gefahr nicht als so ausgeprägt empfinde wie manch anderer“, sagt der 60-Jährige. „Im Moment sind wir mindestens auf Augenhöhe mit unseren Konkurrenten Basketball und Eishockey.“ Bredemeier weiß allerdings auch, dass der Kredit aus erfolgreichen Tagen langsam aufgebraucht ist. „Wir brauchen endlich wieder gute Ergebnisse und müssen attraktiver spielen“, sagt er. Gleichwohl fordert Bredemeier Geduld im Umgang mit Bundestrainer Martin Heuberger: „Er muss Zeit bekommen für den Umbruch, den er eingeleitet hat. Das muss Schritt für Schritt erfolgen, wir können ja nicht nur mit 20- bis 22-Jährigen spielen.“

Zeit ist allerdings ein Gut, das Heuberger selbst nur sehr bedingt zur Verfügung steht, zumindest bei der Arbeit mit seinem neuen Team. Bis zur Weltmeisterschaft im Januar in Spanien gibt es wegen des vollgepackten Terminkalenders der Vereinsmannschaften nur noch einen Lehrgang und eben die kurze Vorbereitungsphase mit drei Testspielen vor dem Turnier. Horst Bredemeier drückt es so aus: „Ich bin optimistisch, dass wir eine ordentliche WM spielen werden. Aber vorher muss Martin Heuberger viele knifflige Aufgaben lösen.“

Diese Erkenntnis hat sich das Nationalteam mit seinen jüngsten Auftritten selbst eingebrockt.

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