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Handball-WM: Neun Finger für ein Tor

Kroatiens Handballer Ivan Cupic spielt gehandicapt im Finale gegen Frankreich.

Die Bewegung hat sich mittlerweile eingeschliffen, dieser Griff zum Verband an der linken Hand. Umtost von den 15 000 kroatischen Fans in der Zagreb-Arena, die den 29:23-Halbfinalsieg ihres Teams bei der 21. Handballweltmeisterschaft singend feierten, überprüfte Ivan Cupic immer wieder den weißen Mull, der Teile seiner Wurfhand umwickelt. Nur wenn er hoch konzentriert ist, vergisst der Linksaußen sein Manko. Dann nimmt der 22-Jährige nicht mehr wahr, dass ihm zwei Drittel des Ringfingers an der Wurfhand fehlen. Dass er in den letzten Monaten nur noch mit neun Fingern Handball spielt.

Im Juli 2008 passierte das, was Blazenko Lackovic, der kroatische Rückraumstar des HSV, eine „Tragödie“ nennt. Als sich die kroatischen Handballer in Rijeka auf das olympische Turnier in Peking vorbereiteten, stolperte Cupic und blieb mit dem Ringfinger an einem Drahtzaun hängen und verlor ihn. So lautete die offizielle Version. In Wirklichkeit war eine kleine Gruppe aus dem Mannschaftshotel ausgebüxt, sie tranken ein paar Bier auf einer Gartenparty. Als Kotrainer Slavko Goluza deutlich machte, dass sie schleunigst zurückzukehren hatten, nahmen sie den direkten Weg: Nicht um den Zaun herum, sondern über den Drahtzaun. Cupic, mit 1,78 Metern der kleinste Handballer des Teams, blieb bei der Überquerung des Zauns mit seinem Ehering hängen. Als Cupic heruntersprang, waren zwei Gelenke des Fingers abgerissen. Den Mannschaftskollegen, die den wimmernden Ivan Cupic, das herausschießende Blut sahen, wurde so übel, dass sie sich übergeben mussten. Der Finger war nicht zu retten.

Cupic verpasste Peking, und manch einer vermutete, er würde nie wieder Handball spielen können. Aber Cupic trainierte schon knapp zwei Monate nach seinem Unfall wieder wie besessen und seitdem hat er eine rasche Entwicklung genommen. Bei seinem slowenischen Klub Gorenje Velenje warf er im Herbst zehn Tore pro Spiel, als Belohnung nominierte ihn Kroatiens Nationaltrainer Lino Cervar für die WM im eigenen Land. „Das Ganze ist für mich ein Traum“, sagt Cupic.

Am heutigen Sonntag, im Finale der Weltmeisterschaft gegen Frankreich in Zagreb (17.30 Uhr, live bei RTL), wird er auf dem Parkett im Fokus stehen. Denn Cupic ist in einer unglaublichen Form. Gegen Polen verwandelte er zwölf seiner 13 Versuche, eine Erfolgsquote von 92 Prozent, nur ein Ball blieb am Pfosten hängen. Mit 60 Treffern ist er drittbester Torschütze des Turniers, auch mit seiner sensationellen Erfolgsquote (80 Prozent) können sich nur wenige messen. Der kleine Rechtsaußen ist rasend schnell auf dem Weg nach vorn, wenn es gilt, die Tempogegenstöße zu verwandeln. Und auch den Trickwurf vom rechten Flügel beherrscht Cupic. Seine Mitspieler empfinden dies als Geschenk. „Wir waren down, als wir das gesehen haben“, sagt Lackovic. „Jetzt sind wir alle so froh, dass Ivan wieder so gut Handball spielen kann.“

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