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© AFP, TSP/ Schilli

Handball-WM: Turnier der Umbrüche

Nicht nur die deutsche Mannschaft startet neuformiert in die am Freitag beginnende Handball-WM.

Er weigert sich beharrlich, irgendeine Prognose abzugeben. „Wir wollen jedes Spiel gewinnen. Das ist realistisch“, diese Aussage wiederholte Bundestrainer Heiner Brand gebetsmühlengleich. Sein Team gehöre bei der 21. Weltmeisterschaft in Kroatien, die am kommenden Freitag (16. Januar) mit der Partie des Gastgebers gegen Südkorea beginnt, „sicher nicht zu den Favoriten“. Brand nennt Kroatien, Olympiasieger Frankreich, Europameister Dänemark, auch Spanien. Seine Mannschaft, so lautet ein weiteres Mantra des Gummersbacher Trainers, sei Titelverteidiger „nur auf dem Papier“. Zu radikal sei der Umbruch, den er einleitete nach dem verpatzten olympischen Turnier in Peking; dorthin war sein Team mit Goldhoffnungen angereist, um mit einem ernüchternden neunten Platz heimzukehren.

Der 56 Jahre alte Brand ist für seine Zurückhaltung vor großen Turnieren bekannt, zu oft schon haben Verletzungen wichtiger Profis einen Strich durch seine Rechnungen gemacht. Natürlich müssen die teils angeschlagenen Stammkräfte im Rückraum, Pascal Hens (HSV Hamburg), Michael Kraus (TBV Lemgo) und Holger Glandorf (HSG Nordhorn) das harte Programm (maximal zehn Spiele in 16 Tagen) irgendwie überstehen. Sollte dies der Fall sein, gibt es freilich keinen Anlass zu Pessimismus. Nicht nur Markus Baur, der zurückgetretene Kapitän der Weltmeistermannschaft von 2007, glaubt daran, dass die stark verjüngte deutsche Mannschaft „an einem guten Tag“ jeden Gegner schlagen könne. „Viele sehen die Sache zu schwarz. Wir haben einen exzellenten Trainer, eine Menge viel versprechende Talente und immer noch einige gestandene Spieler im Team.“

Baur weiß um den seltsamen Charakter der anstehenden Weltmeisterschaft: Es wird ein Turnier des Übergangs, was viele Unwägbarkeiten mit sich bringt. Nicht nur die deutsche Mannschaft, auch die Schiedsrichter-Gilde beispielsweise formiert sich neu, was oft die Qualität mindert. Auch andere Nationaltrainer nutzen den Beginn der olympischen Periode zu einem Neuaufbau. Die russische Nationalmannschaft etwa, erster deutscher Vorrundengegner am Samstag im kleinen Städtchen Varazdin, tritt nicht nur mit einem neuen Trainer an – die Legende Wladimir Maximow trat nach den Spielen von Peking zurück. Mit Linksaußen Eduard Kokscharow verzichtet auch beste Individualist auf einen Einsatz. Der zweite Hochkaräter in der deutschen Gruppe, Vize-Weltmeister Polen, muss ebenfalls ohne seinen wichtigsten Profi auskommen: Regisseur Grzegorz Tkaczyk will sich künftig auf seinen Bundesligaklub Rhein-Neckar Löwen konzentrieren.

Diese Personalien zeigen die große Chance, die trotz des Umbruchs vor der deutschen Mannschaft liegt: Sollte der Weltmeister gegen die starken Gegner Russland und Polen gewinnen und auch die Außenseiter aus Algerien, Tunesien und Mazedonien niederringen, dann stünde das Tor zum Halbfinale plötzlich ganz weit offen. In der Gruppe D nämlich wartet mit Dänemark nur ein Team der allerhöchsten Güte; die weiteren potenziellen Hauptrundengegner – Südkorea und Ungarn – wären nicht unschlagbar. Alle anderen großen Favoriten streiten sich in der ersten Hälfte des Tableaus um die zwei übrigen Halbfinalplätze in Split und Zagreb.

Das Erreichen des Halbfinals ist enorm wichtig, keine Frage. Schließlich hat der Handball mit dem WM-Triumph 2007 in Deutschland, den im Finale über 20 Millionen TV-Zuschauer sahen, eine Aufmerksamkeit wie noch nie erreicht. „Handball hat nun die Öffentlichkeit, die wir immer gewollt haben“ sagt Brand. „Das bringt aber auch mehr Stress und Termine mit sich.“ Beispielsweise einige Drehtermine für Werbe-Spots, die nun die Übertragungen des Kölner Privatsenders RTL flankieren. Erstmals kümmert sich das Privatfernsehen um deutschen Handballs, jeweils um 17.30 Uhr zeigt RTL alle deutschen Spiele live.

Sollten die Einschaltquoten viel niedriger ausfallen als beim „Wintermärchen“, könnte Handball bald schon wieder in die Nische verschwinden. Und die vielen Werbeverträge, die der Deutsche Handballbund (DHB) im Nachgang der Weltmeisterschaft 2007 abschließen konnte, würden vermutlich nicht verlängert werden. Trotz des radikalen Umbaus der Mannschaft und des Understatements, das Bundestrainer pflegt, steht in Kroatien viel auf dem Spiel für den deutschen Handball.

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