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Der Hammer von Hannover. Sascha Goc hat zum 5:4 der Scorpions gegen Ingolstadt getroffen und wird dafür gefeiert. Foto: Fishing4

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Sport: Hannover wird wahnsinnig

Lange kämpften die Scorpions gegen den Ruf, langweiliges Eishockey zu spielen – nun stehen sie im Finale

Berlin - Wenn Sascha Goc abzieht, dann wird es für Torhüter gefährlich. Kein anderer Verteidiger in der Deutschen Eishockey-Liga (DEL) hat so einen präzisen Schlagschuss wie der Verteidiger von den Hannover Scorpions. Das musste am Dienstag der ERC Ingolstadt erfahren. 97 Sekunden waren in der Verlängerung gespielt, als der kräftige Mann in den rechten Bullykreis der Bayern schlitterte, abzog und traf – zum 5:4 für die Niedersachsen, zum erstmaligen Finaleinzug der Scorpions in der Geschichte der DEL.

Goc sortierte das Tor, das die Zuschauer in der Arena auf dem Hannoveraner Messegelände zu niedersächsischen Temperamentsausbrüchen animierte, als „Highlight meiner Karriere“ ein. Nachdem die Scorpions Ingolstadt in der Best-of-five-Serie 6:0 und 4:0 besiegt hatten, mussten sie sich in Spiel drei von einem 1:4-Rückstand heranspielen. „Aber das ist unsere Qualität“, sagte Goc. „Die Mannschaft hat ihre kämpferische Stärke demonstriert. Es ist einfach Wahnsinn.“

Wahnsinn – ein Wort, das in Zusammenhang mit Hans Zach oft strapaziert wird. Vor vier Jahren kam der impulsivste Trainer der Liga nach Hannover. Immer wenn der kantige Tölzer sich äußert, begleitet ihn ein bisschen Verbal-Gaga. Kostprobe von kürzlich: „Läuft die Kamera schon? Na, dann fragt’s was Gescheites.“ Mit dem ihm eigenen, wie Zach betont „ehrlichen“ Stil und seinen ihm schon auf seinen Trainerstationen Kassel und Köln treuen Spielern wie Tino Boos oder Klaus Kathan hat der erfahrene Taktiker in Hannover ein Spitzenteam geformt – nur ging das lange angesichts dominierender Eisbären unter.

Diesmal sind die Berliner schon im Viertelfinale ausgeschieden, diesmal ist der Weg für Hannover frei. „Ich freue mich riesig für die Mannschaft und für die Fans, dass sie so etwas erleben dürfen“, sagte Zach nach dem Erfolg am Dienstag – und meinte wohl auch ein Stück sich selbst. Für den 61 Jahre alten Bayer ist es die sechste Finalserie als Trainer und die letzte, wenn man ihm glauben darf. Nach der Saison soll Schluss sein mit dem Wahnsinn hinter der Bande.

Ein bisschen positiver Wahnsinn hat in Hannover gutgetan. Zu trübe ist die Geschichte der Scorpions, die nun in der Finalserie spielen. Seit Jahren kämpfen die Niedersachsen mit strukturellen Problemen und sportlichen Vorurteilen. In Hannover spielt der einst zur Expo 2000 aus dem Vorstädtchen Mellendorf auf das Messegelände verpflanzte Klub immer noch gegen das Image, nicht der Verein zu sein. Mancher Eishockeyfan pilgert demonstrativ lieber zu den zweitklassigen Hannover Indians in die Eishockeybutze am Pferdeturm. Die Zuschauerzahlen der Scorpions in ihrer Großarena sind auch deshalb niedrig. Dienstag kamen trotz Halbfinale nur 7000 Zuschauer in die fast 11 000 Plätze bietende Halle. Wegen zu geringer Einnahmen hatte Arena- und Klub-Eigner Günter Papenburg vor der Saison seine Unterstützung zurückgefahren. Dass es in Hannover überhaupt weiter ging, war auch einem Gehaltsverzicht der Profis zu verdanken.

Dann sind da die sportlichen Vorurteile, die Mannschaften von Zach immer vorauseilen, seit der mal die Nationalmannschaft betreut hat. Langweiliges Eishockey und so. Stimmt aber nicht mehr. Sicher, Zach lässt defensiv geordnet agieren. Allerdings spielen die Hannoveraner offensiv stark, eben weil aus der gut sortierten Verteidigung gefährliche Pässe kommen und weil im Powerplay die Ordnung funktioniert und weil Rechtsschütze Sascha Goc an der blauen Linie lauert – wie am Dienstag.

Für Sascha Goc ist der Erfolg wie für seinen Klub ein Stück Emanzipation. „Mein Vater interessiert sich sonst vor allem für meinen Bruder Marcel, weil der ja nun mal in der National Hockey-League spielt.“ Kommende Woche sollte sich das mit der familiären Gewichtung ändern, denn dann laufen Sascha Goc und sein jüngster Bruder Nikolai zum ersten Finalspiel in Hannover auf. Karten für die Partie gab es gestern noch reichlich. Aber die Scorpions werden ihre Arena schon voll bekommen, bei ihrem finalen Versuch, nun in Hannover so richtig anzukommen.

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