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Sport: Hansa Rostock: Der Luxus der Langsamkeit

Ein Bagger steht auf dem Rasen, mitten auf dem Trainingsplatz. Drumherum hocken drei Arbeiter und wühlen mit ihren Händen im Erdreich.

Ein Bagger steht auf dem Rasen, mitten auf dem Trainingsplatz. Drumherum hocken drei Arbeiter und wühlen mit ihren Händen im Erdreich. Sie graben Gras aus und schaffen es zur Seite. Normalerweise rackern hier die Fußballprofis von Hansa Rostock ihre Trainingsstunden ab. Doch an diesem Nachmittag gibt es keine Ballübungen. Der Rasen braucht Pflege, nachdem beim Mähen Öl ausgelaufen ist. Das ist wichtiger als Fußball. In Rostock herrscht Müßiggang. Der Klassenerhalt ist nach dem 1:0-Sieg gegen Energie Cottbus gesichert - zum ersten Mal seit drei Jahren muss die Mannschaft nicht bis zum letzten Spieltag zittern. Hansa hat sich in der Bundesliga etabliert. Grund genug für die Spieler, sich vor dem Heimspiel gegen 1860 München in der Sonne zu aalen und lässig an ihren Wasserflaschen zu nippen. Grund genug für Friedhelm Funkel, seinen Trainingsanzug abzustreifen und mit ausgewaschenen Jeans und hochgekrempeltem Hemd einen Happen essen zu gehen.

"Wir können für jedes Jahr in der Bundesliga dankbar sein", sagt der 46-Jährige und lehnt sich zurück. Der Trainer und sein Team - sie haben eine weitere Saison bestanden. Rostock gilt nicht mehr als Fahrstuhlmannschaft, die unruhig durch die Kellergeschosse der Liga rast. Damit das so bleibt, hat Funkel sich ein einfaches Ziel für die neue Spielzeit gesetzt: Mithalten und die Klasse sichern. "Ich bin Realist", sagt der Coach streng, als habe er gerade einen Spieler vor sich, der mit großen Augen vom Europapokal träumt. UI-Cup? "Ist mir völlig egal", sagt Funkel und versichert sich mit festem Blick, ob seine Botschaft angekommen ist. Sie lautet: Bloß keine Euphorie!

Anlass gibt es dafür an der Ostsee sowieso wenig. Mit Torwart Martin Pieckenhagen (zum HSV) und Stürmer Victor Agali (zu Schalke) verlassen die beiden Top-Spieler wieder einmal den Klub. Zurück bleibt ein Team ohne Führungsspieler, verstärkt mit ein paar unzufriedenen Kickern anderer Klubs. Da wäre etwa Ronald Maul, Talent auf der linken Außenbahn, der im letzten Jahr in Hamburg den Anschluss verpasste. Da wäre Mathias Schober, bislang HSV-Torwart Nummer zwei und für Funkel "die ganz klare Nummer eins bei uns". Und da wäre Marco Weißhaupt, Mittelfeldspieler aus Freiburg, zuletzt jedoch häufig auf der Bank. Immerhin hat Weißhaupt das Ziel, Rostocks Spielmacher zu werden. Und einen Traum bringt der 28-Jährige auch mit: "Hansa wird 2002 Deutscher Meister."

Mit Friedhelm Funkel wird das schwer zu machen sein. Denn der setzt auf Bewährtes: Tore verhindern. Einziger prominenter Neuzugang ist Delano Hill, ein kopfballstarker Abwehrrecke vom holländischen Erstligisten Willem Tilburg. Der 25-Jährige, den Hansa schon seit drei Jahren umwirbt, soll die Verteidigung zusammenhalten. Unterstützt wird er dabei von Hansas Routiniers Timo Lange (33) und Hilmar Weilandt (34), deren Verträge verlängert wurden. Und wer schießt die Tore? "Wir werden noch einen Stürmer holen", antwortet Funkel. Sogleich beeilt er sich, den Blitztransfer des Frankfurters Bachirou Salou zu loben. Doch reichen wird das nicht. Bislang hat Rostock vergeblich nach einem Nachfolger für Agali gesucht. Mit dem Cottbuser Sebastian Helbig soll es Verhandlungen geben, bestätigen will das aber niemand. Auch in Berlin wird fleißig gekundschaftet, das TeBe-Talent Ebi Empere trainiert bereits in Rostock zur Probe. Die Suche hält inzwischen den ganzen Verein in Atem. Lizenzchef Herbert Maroon tourt durch halb Europa, um zu Saisonbeginn einen neuen Angreifer zu präsentieren. Einen, der sich nach Rostock locken lässt. Und einen, der Funkels Ansprüchen genügt. Anspruch Nummer eins: Keine Stars, bitte!

Respekt, Disziplin, Anstand, Zuverlässigkeit - das sind die Werte, mit denen Funkel die fehlende Klasse wettmachen will. Sieben solcher Werte hat er den Spielern aufgezählt, als er nach dem dritten Spieltag die Mannschaft übernahm. Werte, die Funkel nicht nur auf dem Platz sehen will. "Welcher Jugendliche steht heutzutage im Bus auf, wenn eine ältere Frau sich setzen will?", fragt er und schüttelt den Kopf. Nein, der Anstand müsse gewahrt werden. Er selbst lebt das vor. "Ich habe noch nie einen Spieler öffentlich kritisiert." Er klingt dabei stolz.

Funkels Strategie scheint sich auf den gesamten Verein auszuwirken. Auch in Hansas Chefetage ist mittlerweile Ruhe eingekehrt. Vergessen sind die trüben Wintertage, in denen Vorstandschef Eckhardt Rehberg mit öffentlichem Gepolter seinen Hut nahm. Am Donnerstag wurde mit Manfred Wimmer der neue Chef des sechsköpfigen Vorstandes bestimmt, der möglichst hauptamtlich tätig sein soll. Wimmer, bisher Schatzmeister der Hanseaten, ist für Vereinsvize Rainer Jahros ein "Garant für Seriosität und Zuverlässigkeit". Ein neuer erster Mann, der jede Mark umdreht - das passt so recht zu Hansas Konzept der stillen Kontinuität.

Friedhelm Funkel ist jedenfalls mit der Welt zufrieden. Er spaziert täglich am Ostseestrand entlang und genießt den Luxus der Langsamkeit.

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