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Turniertanz

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Hassenswerteste Sportarten (12): Turniertanz

Androgyner Ausdruck, entmenschlichtes Atomgrinsen, Gardinen mit Goldkante - Dirk Gieselmann findet einen ganzen Strauß von Gründen, Turniertanz zu hassen.

Schon Friedrich Nietzsche wusste: „Turniertanz ist der Winterschlaf der Kultur.“ Stimmt – auch wenn das Ganze nicht danach aussieht: Mit weit aufgerissenen Augen, zugeschminkt bis unter die Achseln und gekleidet wie ein Fliederstrauch auf der Bundesgartenschau 1967 fegen zwei Hermaphroditen über das Parkett. Wer von ihnen die Frau und wer der Mann ist, kann nur die Jury entscheiden. Doch die ist in dem Punkt oft schon bei sich selbst unsicher.

In der Hauptsache hat sie ja auch über die Ausführung von Rumba, Cha-Cha-Cha, Mambo und anderen dekadenten Verrenkungen zu richten. Über die Musik, zu der diese Geflügeltänze vollführt werden, wollen wir geflissentlich schweigen, um der Gefahr innerer Blutungen zu entgehen. Wer solche Sounds genießen kann, hat meistens auch ein Faible für Butterfahrten, Gaby Dohm, Mon Chéri, Gardinen mit Goldkante – und eben Turniertanz.

"Ausdruck" androgyner Paare

Dass der vollendeten Performance – ähnlich wie beim Eiskunstlauf und beim Turnen, den vom Ehrgeiz zerfressenen Stiefschwestern des Turniertanzes – jahrelanges Knüppeltraining vorausgeht, dem sich nur Menschen mit ausgeprägtem Selbsthass aussetzen, ist den Busladungen von turniertanzbegeisterten Rentnerinnen nicht bewusst. „Wie toll diese jungen Leute sich bewegen können“, frohlocken sie und verschlucken sich vor Begeisterung fast am elften Kaffee mit Dosenmilch.

Besonders verzückt sind sie neben der Musikalität und Geschmeidigkeit der androgynen Paare von etwas, das im Fachjargon „Ausdruck“ genannt wird. Damit ist das entmenschlichte Atomgrinsen der Tänzer gemeint, das dem einer blutdurstigen Hyäne nicht unähnlich ist. Es prangt in Gesichtern, deren Haut vermittels der Haare mit aller Gewalt nach hinten gerissen wurde. An der Stabilität dieser Konstruktion schwangen sich schon ganze Dynastien von Haarfestiger-Produzenten zu sagenhaftem Reichtum auf.

Wir, die wir vor Hass unsere Gesichter auf die Cocktailtischchen schlagen, haben hingegen nichts von diesem radikalen Bruch mit dem ästhetischen Imperativ. Rein gar nichts. Aber Hauptsache, die Kultur schläft schön.

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