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Popow

© Rüdiger Herzog

Heinrich Popow: Der Überflieger

Bei den Paralympics in Peking sind 170 Sportler aus Deutschland am Start. Leichtathlet Heinrich Popow ist einer der Stars des Teams.

Die Paralympics 2008 begannen für die deutsche Mannschaft mit einem Fehlstart in zehn Kilometer Höhe. „Wir waren gerade über Moskau, da hat der Kapitän durchgesagt, dass wir umdrehen müssen und zurück nach Deutschland fliegen: Triebwerkschaden.“ So einen wie Heinrich Popow wirft das aber nicht aus der Bahn. „Was willst du da machen, ist halt Schicksal“, sagt der 25-jährige Leichtathlet. Typen wie er fragen in so einem Moment grinsend, ob man denn wenigstens seine Freimeilen noch angerechnet bekäme. Schließlich haben sie es aber doch alle bis nach China geschafft: Die 282-köpfige Delegation aus Deutschland hat Quartier bezogen in Peking. 170 Athleten mit Handicap sind bei den Olympischen Spielen der Menschen mit Behinderungen in der deutschen Nationalmannschaft am Start, darunter 21 Sportler aus Berlin und fünf aus Brandenburg.

„Es ist für mich der Hammer, hier zu sein“, sagt Popow und lehnt sich im Schatten unterm Schirm im Paralympischen Dorf zurück. Viele der 4 000 Sportler aus 150 Ländern, die die Häuserblocks im Grünen an angelegten Seen bunt beflaggt haben, erkennen und grüßen den Mann mit der linken Beinprothese und dem Hahnenkamm-Haarschnitt. Er spurtet auf den Plakaten seines Sponsorunternehmens Otto Bock, das während der Wettkämpfe den technischem Support für all die Rollstühle, Krücken und Prothesen leistet - ein Boxenstopp der anderen Art. Auch die Fernsehzuschauer in Deutschland bekommen Heinrich Popow während der Paralympics zu Gesicht: Der dreifache Bronzemedaillengewinner aus Athen 2004 über 100 und 200 Meter sowie im Weitsprung sprintet und fliegt in den TV-Spots vor den Übertragungen in ARD, ZDF und privaten Sendern über den Bildschirm. In Athen hat ihm damals Bundeskanzler Gerhard Schröder eine der Medaillen überreicht – jetzt will er in Peking über 100 Meter die 13-Sekunden-Schallmauer unterbieten. Für die Zeit vorm Wettkampf hat er sich ausnahmsweise einen Rollstuhl besorgt. „Einige Olympioniken haben sich schon fahren lassen, einfach um Kräfte zu schonen, weil die Entfernungen hier auf dem Olympiagelände tierisch weit sind.“

Popow will die 100 Meter unter 13 Sekunden laufen

Auch der Weg zum Behindertenleistungssportler war lang für Heinrich Popow. „Früher durften wir Sportler zur "Aktion Sorgenkind", heute sind wir zu Gast im Aktuellen Sportstudio. Ich genieße das jetzt alles ungemein.“ Heinrich war ein Kind von neun Jahren, und er wollte Fußballprofi werden, als die Ärzte infolge eines schlecht verheilenden Sportunfalls Knochenkrebs diagnostizierten. „An meinem Krankenbett stand damals der ebenfalls amputierte Radrennfahrer Arno Becker. Der schob sein Hosenbein hoch, zeigte mir seine Prothese und sagte: Junge, du kannst in deinem Leben alles erreichen, du musst dich nur ein bisschen mehr anstrengen.“

Noch heute nimmt Popow das wörtlich. Der Oberschenkelamputierte gehört zu den wenigen Athleten in Deutschland, die im Trainingszentrum von Bayer 04 Leverkusen gemeinsam mit nichtbehinderten Spitzensportlern trainieren. Und er ist wie Schwimmerin Kirsten Bruhn, wie Radfahrer Michael Teuber eine der Goldhoffnungen im deutschen Team. Aus Berlin wollen unter anderem Rollstuhltennisspielerin Katharina Krüger und Leichtathletin Claudia Biene auf dem Treppchen stehen, die Brandenburger Paralympics-Grand-Dame Marianne Buggenhagen wird in Peking ihren Abschied von der Weltelite feiern. Vor vier Jahren kam das Team Germany mit 79 Medaillen nach Hause, 19 davon waren goldene. „Den Platz 8 der Goldmedaillen- und Platz 6 der Gesamtmedaillenwertung wollen wir diesmal toppen“, sagt Frank-Thomas Hartleb, Vize-Chef-de-Mission der deutschen Nationalmannschaft.

Härtere Auswahlkriterien im deutschen Team

1,8 Millionen Euro hat der Deutsche Behindertensportverband für die Paralympics-Entsendung beim Innenministerium beantragt. Im Vergleich zu Athen sind diesmal 40 Sportler weniger am Start „Auswahlkriterium waren die Medaillenchancen und nicht wie in Athen schon die Aussicht auf Endkämpfe“, sagt Hartleb. Die Wettbewerbe werden härter, der Behindertensport weltweit immer professioneller, die Chinesen wie bei Olympia in den meisten der 20 Disziplinen als Favoriten gehandelt. In Deutschland wurden 54 Athleten im so genannten Top-Team gefördert – sie bekamen dank der Finanzierung durch Allianz und Deutsche Telekom Förderungen oder Gehaltszuschüsse, so dass sie sich intensiver dem Trainung widmen konnten.

Wenn der Startschuss für Heinrich Popow nächste Woche fällt, feuert ihn sein Vater an der Bahn an, seine Freundin wird ihn per Telefon motivieren. Der Leverkusener will im "Vogelnest" aber mehr erreichen als Medaillenränge. „Ich will was bei den Menschen bewegen, dass sie ihre Hemmschwellen verlieren. Denn Behinderungen, die beginnen hier oben im Kopf“, sagt der 25-Jährige. Bei den Spielen engagiert er sich als Botschafter des Europäischen Jahres des interkulturellen Dialogs. „Ich bin durch all die Erfahrungen gereift und dafür dankbar. Ich habe gelernt, das Ungewöhnliche zum Gewöhnlichen zu machen.“ Wenn die Leute bei Prothesenläufern wie dem Südafrikaner Oscar Pistorius von „Techno-Doping“ sprechen, „dann flippe ich aus. Soll mal einer mit so `ner Prothese laufen, in der der Beinstumpf dank Vakuum-Unterdruck gehalten wird“. Seine Behinderung empfindet er nicht als Handicap, im Gegenteil. Der Vorzeigetyp des deutschen Behindertensports sagt diesen Satz: „Ganz ehrlich, so wie ich hier heute sitze: Wenn mir jetzt einer sagen würde, hier hast du dein Bein zurück, den würde ich zum Teufel schicken.“ Und alle, die jetzt dagegenhalten würden, dass sei doch nichts als Zweckoptimismus, „die haben keine Ahnung, wovon sie reden“.

Annette Kögel[Peking]

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