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Sport: Hertha BSC: Hinten wird das Spiel gewonnen

Früher war alles einfacher. Die Welt war klar gegliedert.

Früher war alles einfacher. Die Welt war klar gegliedert. Es gab nur Entweder-oder. Entweder CDU oder SPD. Puma oder Adidas. Gladbach oder Bayern. Und Wimmer oder Netzer. Der eine spielte die feinen Pässe, der andere hielt ihm die lästigen Abwehraufgaben vom Halse. So war das in den 70ern, als Wimmer und Netzer bei Borussia Mönchengladbach spielten, und das mit so großem Erfolg, dass sie auch fast 30 Jahre später noch als Synonyme gelten für zwei bestimmte Positionen in der taktischen Ordnung des Fußballspiels. Dabei gibt es diese Positionen streng genommen gar nicht mehr.

Zum Thema Bundesliga aktuell: Ergebnisse und Tabellen Bundesliga-Tippspiel: Das interaktive Fußball-Toto von meinberlin.de Die Zeiten der strikten Aufgabentrennung auf dem Fußballplatz sind längst vorüber, die Arbeitsteilung wird Stück für Stück wieder aufgehoben. Jeder macht alles: Der Torwart wird hinter der Viererkette zum klassischen Ausputzer, der Verteidiger moderner Prägung benötigt neben Zweikampfstärke auch Spielmacherqualitäten, und die Stürmer sind bei Angriffen des Gegners die ersten Verteidiger ihrer Mannschaft. Die Anforderungen haben sich rasend geändert. Das gilt auch für die Position, die inzwischen als die vielleicht wichtigste überhaupt im modernen Fußball angesehen wird: für den defensiven zentralen Mittelfeldspieler.

Bei Hertha BSC wird in der neuen Saison Stefan Beinlich auf dieser Position spielen. Legt man das alte Rollenverständnis zugrunde, ist er eine glatte Fehlbesetzung. Beinlich passt von seinen Anlagen her (technisch gut) und seinen körperlichen Voraussetzungen (eher schmächtig) nicht in die Reihe derer, die das Bild vom defensiven Mittelfeldspieler in Deutschland nachhaltig geprägt haben: Guido Buchwald zum Beispiel oder Steffen Freund und Dieter Eilts. Früher wurden Spieler wie sie als Staubsauger bezeichnet oder als Besen vor der Abwehr. Sie kehren oder saugen gewissermaßen die Gefahr weg; für den Rest waren sie nicht zuständig. Das hat sich entschieden geändert. Dieter Eilts, der es mit seinen limitierten Fähigkeiten immerhin zum Staubsauger der Nation gebracht hatte, hat selbst einmal gesagt: "Es nützt nichts, wenn ein Spieler alle Zweikämpfe gewinnt, dann aber nicht in der Lage ist, den Ball weiterzuspielen."

Der Platz auf dem Feld wird enger, die Reaktionszeit kürzer. Wer in Stresssituationen nicht über ausreichende technische Fertigkeiten verfügt, wird den Ball, den er gerade gewonnen hat, gleich wieder verlieren. Der Trend geht dahin, das defensive Mittelfeld mit technisch starken Spielern zu besetzen, die sowohl die Zweikämpfe gewinnen, den gegnerischen Angriff dadurch stoppen, und postwendend den Gegenangriff einleiten - ohne dafür die Dienste ihres Netzers bemühen zu müssen. Trotzdem: Wer noch das alte Bild vom defensiven Mittelfeldspieler im Kopf hat, wird einen Wechsel aus der Offensive in die Defensive als Degradierung begreifen. Stefan Beinlich sagt: "Mir macht das Spaß." Er hat das Spiel vor sich, kommt "mehr aus der Tiefe", sagt er, "und man hat wahrscheinlich mehr Ballkontakte".

Trainer Jürgen Röber sieht die Position, auf der Beinlich künftig spielen wird, "als wichtige Station vor der Abwehr: Er leitet die Angriffe wieder ein." Idealtypisch war dies im Ligapokalfinale gegen Schalke 04 bei Marcelinhos Tor zum 2:0 zu beobachten. Allerdings war es in diesem Fall nicht Beinlich, sondern Sebastian Deisler, der an der Mittellinie den Zweikampf gegen Andreas Möller gewann. Deisler leitete den Ball gleich weiter auf Marcelinho, und der nutzte die Unordnung in Schalkes auf einen eigenen Angriff eingerichteter Abwehr zu Herthas zweitem Treffer.

Herthas Trainer Jürgen Röber sagt, der Spieler in der defensiven Mittelfeldposition müsse "sehr viel sprechen, seine Mitspieler dirigieren, sehr viel antizipieren, die anderen auch beobachten". Für Stefan Beinlich "ist das von seinen Fähigkeiten her kein Problem". Die Rolle ist auch nicht komplett neu für ihn. "In Leverkusen habe ich das auch schon einige Male gespielt", sagt er. Dort, bei Bayer, stand Beinlich mit dem Brasilianer Emerson in einer Mannschaft. Emerson galt damals als Prototyp des modernen defensiven Mittelfeldspielers. Die "Süddeutsche Zeitung" hat in seiner besten Zeit einmal über ihn geschrieben, Emerson sei quasi zwei Spieler in einem: Wimmer und Netzer. "Emerson hat diese Aufgabe sehr gut praktiziert", sagt Stefan Beinlich. Als Prototyp sieht er jedoch eher den Holländer Frank Rijkaard oder den Argentinier Redondo von Real Madrid. Gegen den hat Beinlich mit Bayer zweimal in der Champions League gespielt. Er ist noch heute beeindruckt: "Der hat in beiden Begegnungen fast keinen Fehlpass gespielt, war zweikampfstark, hat sich immer gut verschoben und seine Mitspieler dirigiert."

Einen Spieler mit solchen Fähigkeiten hat Jürgen Röber lange gesucht. Am Anfang der vorigen Saison hatte Herthas Trainer René Tretschok eine ähnliche Rolle zugedacht. Er sollte eine Art Libero vor der Abwehr spielen, doch Tretschok konnte sich mit dieser Aufgabe nie recht anfreunden. "Da muss man auch von überzeugt sein", sagt Röber. Vielleicht erweist sich jetzt Stefan Beinlich als Ideallösung. Sollte Röbers Konzept aufgehen, könnte ausgerechnet ein Spieler mit herausragenden offensiven Qualitäten Herthas anfällige Defensive stabilisieren. Moderner Fußball kann manchmal ganz schön kompliziert sein.

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