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Leicht entflammbar: Pal Dardai kann auch böse.

© dpa

Hertha BSC: Pal Dardai muss liefern

In der kommende Saison muss Herthas Trainer Pal Dardai beweisen, dass er mehr ist als nur ein Retter.

„Geeenkiiii!“ Das war das Letzte, was von Pal Dardai bis auf die Tribüne zu hören war. Genki Haraguchi hatte gerade in Höhe der Mittellinie den Ball verloren, einen Spielzug später erzielte der FC Genua das 2:0 gegen Hertha BSC, und fortan saß Pal Dardai sprach- und regungslos neben seinem Assistenten Rainer Widmayer auf der Bank. Bis dahin hatte Herthas Cheftrainer unaufhörlich an der Seitenlinie gestanden, breitbeinig, scheinbar immer zum Angriff bereit. Er hatte seine Spieler angeleitet, ihnen die Laufwege gewiesen, sie aber auch für leichte Fehler angepfiffen. Mit einem Mal, mit dem zweiten Tor der Italiener kurz vor Schluss, schien sämtliche Energie aus Dardai entwichen zu sein.

Es war nur ein Testspiel, das letzte vor dem Saisonstart, aber im Grunde kann man auch vom Kleinen auf das große Ganze schließen und vor Herthas Einstieg in die neue Spielzeit der Fußball-Bundesliga an diesem Samstag die Frage stellen: Folgt dem Eifer und der Euphorie aus der Vorbereitung jetzt die große Ernüchterung?

Im Mai haben die Berliner nur dank der besseren Tordifferenz den Abstieg verhindert. Trotzdem startet Hertha am Samstag beim FC Augsburg (15.30 Uhr, live bei Sky) mit nahezu unverändertem Kader in die Saison. Dazu steht Dardai vor seiner ersten kompletten Spielzeit als Cheftrainer. Jenseits von Berlin wird das als durchaus gewagte Konstellation angesehen und Hertha eine schwierige Saison vorhergesagt. Abstieg? Eher wahrscheinlich als möglich.

"Ich bin im Stadion und in der Kabine aufgewachsen"

Pal Dardai interessieren solche Prognosen nicht: „Die Experten können sagen, was sie wollen.“ Aber er weiß selbst, dass er jetzt zeigen muss, dass er mehr ist als ein Retter. Dardai arbeitet in dieser Saison auch gegen den Verdacht an, dass sich seine Art allzu schnell verbraucht, dass er vor allem ein Meister im Fach Motivation ist. Bisher hat man Herthas Trainer ja eher für einen Bauchmenschen gehalten, der vor allem von seiner Intuition und seinen Erfahrungen als Spieler zehrt. „Ich fühle mich erfahren genug“, sagt er. „Ich bin im Stadion und in der Kabine aufgewachsen.“ Sein Vater war ebenfalls Spieler und Trainer, weswegen Pal junior seine Sommerurlaube nach eigener Aussage nicht am Strand, sondern auf dem Fußballplatz und im Trainingslager verbracht hat.

Retter und Trainer – das sind im Grunde zwei unterschiedliche Berufe. „Pal war richtig gut“, sagt Mittelfeldspieler Per Skjelbred über die vergangene Saison. „Er hat gesagt: Keinen Stress, Jungs.“ Er hat seinen Spielern Vertrauen geschenkt, auch wenn ihm das manchmal schwer gefallen sein muss. Im Februar hat Dardai die Mannschaft auf dem vorletzten Tabellenplatz übernommen, und auch wenn es am Ende noch einmal knapp wurde, hat er seinen Auftrag einigermaßen souverän erfüllt. „Alles, was wir erzählt haben, ist eingetreten“, sagt Dardai. „Ich arbeite nach Plan.“

Der neue Hertha-Stil ist bereits zu erkennen

Sein Plan für die neue Saison ist ambitioniert. Ist seine Mannschaft bisher eher durch Fußballverhinderung aufgefallen, so will der Ungar jetzt richtigen Fußball von ihr sehen: mit viel Ballbesitz, mit mutigem Offensivspiel, vielen Abschlüssen und entsprechend vielen Toren. In der vergangenen Saison hätte Dardai vor einem Spiel in Augsburg noch gesagt: „Wir fahren dahin, um gut zu stehen. Jetzt fahren wir dahin, um zu gewinnen.“ Aber eine solche Umstellung braucht Zeit, sie erfordert auch die passenden Spieler – umso bemerkenswerter ist, dass die Veränderungen trotz nahezu unveränderter Mannschaft tatsächlich schon zu erkennen sind. In allen seriösen Testspielen kam Hertha auf mehr Ballbesitz als der Gegner, genauso am Montag, im Pokalspiel in Bielefeld. „Das sieht nach Plan aus“, sagt Dardai.

Die Entwicklung wird bei Hertha mit Wohlwollen verfolgt. Die Fans haben den Kämpfer Dardai schon als Spieler geliebt, ihre Zuneigung ist durch die Rettung eher noch gewachsen. Dazu verfügt er über einen ausgesprochen guten Draht zur Berliner Boulevardpresse, und bei seinen Spielern genießt er eine natürliche Glaubwürdigkeit – erst recht, solange seine gewagten Prognosen sich als zutreffend erweisen. Dardai hat den latenten Zweifeln in diesem Sommer von Anfang an entschiedenen Optimismus entgegengesetzt. Er hat das Erreichen des Pokalfinales als Ziel ausgegeben und verkündet, dass seine Mannschaft zehn Punkte mehr holen werde als in der Vorsaison, sollte sie das umsetzen, was man in der Vorbereitung geübt habe.

Es ist schwer zu sagen, wie viel Politik in solchen Sätzen steckt. Dardai war immer schon ein positiver Mensch, kommunikativ und umgänglich. Als in dieser Woche Torhüter Thomas Kraft das Training abbrechen musste, stellte er sich selbst ins Handballtor. „So ein kleines Tor kann ich mit meinem Bauch gut zumachen“, hat er hinterher erzählt. Aber hinter dem netten Pal ist in der Vorbereitung auch gelegentlich der grimmige Herr Dardai zum Vorschein gekommen, der leicht entflammbar ist, poltert und rumpelt.

In solchen Situationen kann man zumindest erahnen, dass die schöne Fassade mit Skepsis grundiert ist. Dass Dardai eigentlich mehr gewollt hätte. Dass er liebend gern ungarischer Nationaltrainer geblieben wäre. Sich größere Fortschritte bei Hertha gewünscht hätte. Und dass ihm der Kaderumbau nicht schnell genug gegangen ist. Zu Beginn der Vorbereitung hat Dardai noch gesagt, wenn kein Neuer mehr komme, müsse er damit leben. In dieser Woche hat er verkündet: „Es wird sicher noch etwas passieren.“ Natürlich geht es um Hertha BSC. Aber Pal Dardai weiß auch, dass sein eigener Ruf auf dem Spiel steht.

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