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Hertha BSC: Seele entdeckt

Volles Stadion bei der Comeback-Kampagne: Hertha BSC gewinnt neues Publikum, weil der Zweitligist endlich Makel hat

Natürlich hat sich Adrian Ramos ans Herz gefasst. Macht ja heutzutage jeder, wenn er ein Tor bejubelt, weil es ihm halt eine besondere Herzensangelegenheit ist, ausgerechnet für diesen oder jenen Klub zu treffen. Die rechte Hand des Berliner Kolumbianers weilte aber nur kurz auf dem Emblem von Hertha BSC, dann formte sie gemeinsam mit der linken eine Art Fernglas, mit dem er quer über den Platz lief, eskortiert von seinen jubelnden Kollegen. Später hat Ramos erzählt, er habe seine Tochter gesucht, die da irgendwo saß, auf der blau-weiß eingefärbten Tribüne. Ein kleines Mädchen unter knapp 50 000 Zuschauern, die erst Papas Tor und später den 3:1-Sieg über Arminia Bielefeld feierten.

Es war am Sonntag im Olympiastadion mal wieder so voll wie sonst nirgendwo in der Zweiten Liga, da braucht man fürs Ausspähen der Liebsten schon Unterstützung, wenn auch nur symbolischer Art. Als der Stadionsprecher die Zahl der offiziell 47 726 Zuschauer verlas, applaudierten Spieler, Trainer und Manager auf der Ersatzbank. Als dann endlich Schluss war, verweilte die gesamte Mannschaft noch gut zehn Minuten vor ihren treuesten Fans, die beim Westverein Hertha interessanterweise in der Ostkurve stehen. Alle fassten sich an den Händen, feierten und ließen sich feiern. „Diese Fans sind unglaublich, da können auch in der Bundesliga nur wenige Klubs mithalten“, sagt Herthas Verteidiger Christian Lell, der über ein gewisses Urteilsvermögen verfügt, schließlich hat er zuvor für die Publikumsmagneten Bayern München und 1. FC Köln gekickt.

Dafür gibt es viele Gründe. Zum Beispiel die billigen Tickets, es gibt sie schon für zehn Euro im Oberring. Außerdem will das Fanvolk nach der desaströsen Abstiegssaison auch mal ganz gerne Siege sehen, was Herthas Manager Michael Preetz dahingehend interpretiert, „dass die Leute dabei sein wollen, wenn hier etwas Neues heranwächst“. Ja, es wächst etwas Neues heran, aber nicht nur auf dem Fußballplatz. Ob Hertha im Durchmarsch die direkte Rückkehr in die Bundesliga schafft, ist nach drei Siegen in drei Spielen über die Laufkundschaft aus Oberhausen, Düsseldorf und Bielefeld noch keineswegs gesicherte Erkenntnis. Wohl aber, dass sich etwas verändert hat im Verhältnis zwischen dem größten Klub der Stadt und seinem Publikum.

Über Jahrzehnte hinweg, seit dem Bundesligaskandal zu Beginn der siebziger Jahre, litt Hertha unter einem allgemeinen Desinteresse, das nur in Zeiten größerer Erfolge ein wenig kaschiert wurde durch den Zuspruch einer wetterfühligen Spezies, die damals noch niemand Erfolgs- oder Eventfans nannte. Dieses strukturelle Problem blieb auch erhalten, nachdem Dieter Hoeneß den Verein Ende der neunziger Jahre mit finanzieller Unterstützung des Sportrechtevermarkters Ufa (heute Sportfive) am neuen Fußballmarkt platzierte

Hertha wurde allgemein wahrgenommen als seelenloses Konstrukt, als Äquivalent zur Berliner Schnauze auf dem Rasen. Ein künstlich gewachsenes Unternehmen mit einer chronischen Disbalance zwischen Sein und Schein. Ein Klub, der seine Wurzeln im Weddinger Arbeitermilieu mit aufgeblasenen Imagekampagnen kaschieren wollte. Hertha hatte Erfolg, aber Hertha war nicht sympathisch. So gesehen steckt Logik dahinter, dass Akzeptanz und Zuspruch ausgerechnet in Zeiten des größten anzunehmenden Misserfolgs wuchsen.

Seit dem 1. FC Nürnberg, der 1969 als amtierender Meister abstieg, ist in der Bundesliga kein Klub so tief gefallen wie Hertha BSC. Ein Jahr nur lag zwischen einer am letzten Spieltag vergeigten Qualifikation für die Champions League und dem Absturz auf den letzten Tabellenplatz und damit in die Zweite Liga. Dieser Abstieg hat Hertha befreit vom Makel der aufgesetzten Makellosigkeit.

Hertha hat diesen Absturz akzeptiert, aber bis zum Schluss dagegen angekämpft. Weil sich die Mannschaft wie Fans in diesem Überlebenskampf von Schiedsrichtern und dem Deutschen Fußball-Bund betrogen oder gegängelt fühlten, entstand im Niedergang eine Schicksalsgemeinschaft, die Hertha erst im Abstiegskampf und jetzt bei der Comeback-Kampagne volle Stadien beschert.

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